
21.2.2019
Scivias – Wisse die Wege (4)
Es gibt eine Anatomie der Rastlosigkeit
Sie sieht den Menschen einer von der Evolution produzierten wandernden Spezies zugehörig. Demnach ist das Nomadisieren seine natürliche Bestimmung; wird er seßhaft, so besteht die Gefahr der Denaturierung. Daraus folgen nicht selten Gewalttätigkeit, ein Status- und Hierarchiedenken sowie die Sucht nach allem, was neu ist. Im Gegensatz dazu sind Sinti und Roma egalitär, unbelastet von dinglichem Besitz und widerspenstig gegenüber Veränderungen.
Die erste Erfahrung mit dem Weg und der Reise hatte nichts mit der schönen weiten Welt zu tun, sondern diente der Nahrungssuche. Jede Reise ist ein zutiefst subjektives Erlebnis, das von Neugier auf Unbekanntes und Außergewöhnliches geprägt ist. Die Suche und die Sehnsucht danach sind schön, weil das Unentdeckte in der Phantasie keine Makel hat. Unterwegs jedoch kann durchaus einiges, was für einen Augenblick oder auch länger unerträglich ist, passieren.
Es heißt: „Schöne Eindrücke sterben einen schnellen Tod.“ Das Wiederaufsuchen eines schönen Zieles ist nicht unbedenklich, weil die Gefühlsreaktion nie die ursprüngliche Stärke des ersten Males erreicht. Hinzu kommt noch, daß man die Wahrheit an der eigenen Vorstellung mißt. Dann gibt es die Erinnerungsreise als Ergänzung zur tatsächlichen Reise. Je stärker die Erinnerung von Emotionen geprägt ist, desto weniger ist sie vom Vergessen bedroht. Viele Menschen schaffen sich einen Garten der schönen Eindrücke, in dem sie in jeder freien Minute lustwandeln können.
Habe ich eine gewisse Rastlosigkeit in mir?