8.7.2023

„Simul justus et peccator“ - „Zugleich Gerechter und Sünder“

Als Grundkonstanten gehören zu unserem Leben Leid, Schuld und Tod. Wir werden schuldig und bleiben schuldig, sind immer der Verzeihung bedürftig.

Das übliche Denkmodell von der weißen Seele, die der Buße bedarf, wenn sie mehr oder weniger fleckig geworden ist und nach der Buße wieder weiß ist, scheint bedenkenswert, wir sind immer Heilige und Sünder zugleich; denn es wohnen zwei Seelen in unserer Brust.

So gibt es auch in der Kirche nicht nur eine Gruppe von Heiligen und eine andere von (öffentlichen) Sündern, sondern die Kirche ist ebenso eine heilige und eine sündige zugleich.

Beim Evangelisten Matthäus (5,48) heißt es: „Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!“ Diese Aufforderung Jesu ist vermutlich wie folgt zu verstehen: „Vollkommen“ ist allein Gott, weil bei ihm alle Pole zusammenfallen. Nur wenn der Mensch „vollständig“, das heißt, wenn er „ganz“ ist und sich in seiner Polarität annimmt, also auch seine Schattenseite und sein Sündersein, befindet er sich auf dem Weg zur Vollkommenheit, also als „iustus et peccator“, wie Martin Luther (1483-1546) es formulierte.