
21.6.2019
Sinne in uns hinein – über uns hinaus
Wer gedankenverloren einhergeht, bekommt von seiner Umgebung nur wenig mit; denn dazu bedarf es offener und wacher Sinne. Wo das Auge zum Sehen erwacht, wendet es sich aktiv und bewußt der Welt zu. Im Hören werden wir über uns hinausgetragen, es führt uns in das Wesen der Welt hinein. Im Hören schwingen wir mit dem Inneren der Welt mit. Sehen erscheint als der mittlere Sinn, in dem sich inneres Sehen und äußerer Eindruck begegnen. Beim Schmecken und Riechen dringt etwas in uns ein.
Während wir mit unseren Sinnen nach außen gerichtet sind, gibt es im Spürbewußtsein auch ein Sich-nach-innen-wenden, was für unser leibhaftiges Dasein wichtig ist, damit wir unserem Leib innewohnen. Ebenso wie wir unsere Außenwelt gestalten, können wir auch unseren „Innenleib“ formen und prägen.
Während jemand mit dem Dritten Auge etwas Außersinnliches zu sehen vermag, gelingt es manch anderem nicht einmal, mit seinen zwei Augen richtig zu sehen. Schon die Psalmen kennen dieses Phänomen bei den Götzen: „Sie haben einen Mund und reden nicht, Augen und sehen nicht; sie haben Ohren und hören nicht, eine Nase und riechen nicht“ (Ps 115,5.6; vgl. Ps 135,16.17). Dieser Psalm läßt sich auch auf die Menschen übertragen. So sprach Jesus zu seinen Jüngern: „Augen habt ihr und seht nicht? Und Ohren habt ihr und hört nicht?“ (Mk 8,18)
Unsere Sinne haben nicht nur funktionale Aufgaben wie zum Beispiel Nahrungssuche und -aufnahme, sondern dienen noch weiteren und tieferen Zielen, unter anderen dem Wahrnehmen des Schönen. Es gibt eine qualifizierte Wahrnehmung. Dann wird Sehen zum Schauen. „Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt“, formuliert Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832). Hören wird zum Lauschen, Fühlen/Tasten zum Spüren, Riechen zum Schnuppern und Schmecken zum Verkosten. Es scheint etwas durch von dem, was hinter allen Dingen liegt. Schönheit und Kunst entstehen so im Auge des Betrachters. Um mit der geistigen Welt Zwiesprache zu halten, muß man lauschen. Wer nach drüben fragt und stille ist, bekommt Antwort, und doch läßt all das Wahrnehmen nur erahnen, was einst auf uns wartet. „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.“ (1 Kor 2,9)