St. Martin in Wesel

Sonntag, 11. November 2018, St. Martin

Die Hälfte ist auch schon hilfreich

Meine zweite Kaplansstelle war in Wesel St. Martini. Vom heiligen Martin von Tours (4. Jh.) habe ich das Teilen gelernt. Alles abgeben wie der heilge Franz von Assisi (1181/1182-1226), das kann ich noch nicht. Ganz wichtig ist mir das folgende von Martins Biographen Sulpicius Severus (ca. 363-ca. 424) bezeugte Motto des Heiligen: „Er weigerte sich nicht zu leben und fürchtete sich nicht zu sterben.“

Die häufige Wahl dieses Heiligen als Pfarrpatron hängt vermutlich mit den im 12. Jahrhundert zahlreichen Wallfahr­ten zu seinem Grab nach Tours zusammen. Er wurde als erster Nichtmartyrer in der Kirche verehrt.

Sein Festtag am 11. November ist mit vielfältigem Brauchtum verbunden, unter anderem mit dem Martinszug und dem Essen der Martinsgans. Gänse sollen ihn verraten haben, als er sich versteckt hielt, weil er nicht Bischof werden wollte. Im frühen Christentum begann mit dem Martinstag die Fastenzeit vor Weihnachten. Man durfte noch einmal gut essen. Außerdem war am Martinstag die Lehnspflicht fällig, die häufig in einer Gans bestand. Noch heute heißt es im Volksmund: „Zu Martin eine Gans.“

Besonders verbreitet ist heute vor allem noch das aus dem Mittelalter stammende Laternen-Gehen. Begleitet werden diese Umzüge meistens von einem Reiter, der den Heiligen darstellt, sei es als Soldat oder als Bischof.

Hans-Karl Seeger in St. Martini in Wesel 1972

 

Martin war noch kein Christ, als er im Alter von 15 Jahren am Stadttor von Amiens seinen Soldatenmantel mit einem Bett­ler teilte. In einem Traumgesicht erfuhr er, daß Chri­stus der Bettler war. Als Achtzehnjähriger ließ er sich taufen, verließ den Soldatendienst, wurde Schüler eines Bischofs und schließlich selbst Bischof.

Auf Grund gewisser Parallelen zum Leben des heiligen Franziskus lohnt sich auch ein Blick auf dessen Leben. Diesem widerfährt ein ähnlich wichtiges Er­lebnis, als er einen Aussätzigen küßt. Seine Bekehrung de­monstriert er auf dem Markt von Assisi, indem er sich nackt auszieht, um sich der Armut zu verloben. Er gibt seinem irdischen Vater alle Kleider zurück; für ihn ist jetzt Gott der Vater. Der anwesende Bischof von Assisi nimmt Franziskus unter seinen Mantel, nicht wegen dessen Nacktheit, sondern um ihn mit dieser Geste zu adoptieren, das heißt, ihn als Sohn anzunehmen.

Martin und Franziskus, zwei unterschiedliche Berufungen. Wie faszinierend ist die Fähigkeit, zu teilen oder sogar alles wegzugeben. Aber wer ist dazu berufen, dies zu tun? Nicht alle Menschen; denn bei wem soll­ten die Armen sonst betteln. Es muß auch Reiche geben, die von dem, was sie besitzen, abgeben können. Allerdings sollte dies nicht von oben herab ge­schehen. Eigentlich sollte der Geber sich beim Bettler be­danken, daß er ihm etwas abnimmt und ihn daran erinnert, daß wir „haben sollen, als hätten wir nicht“ (vgl. 1Kor 7,30f).

Nach dem Vorbild der Heiligen Martin und Franziskus läßt sich gelassen leben.