7.11.2021

Sonntag des Buches

Karl Borromäus (1538-1584) ist der Namensgeber für den 1845 in Bonn gegründeten Borromäusverein e.V. Fast jede Pfarrei hat eine „Borromäusbücherei“.

Pflegen wir die Kultur des Lesens? Der Umgang mit den digitalen Medien wirft die Frage auf, ob Bücher nicht überflüssig werden.

Die Schrift wurde erfunden, um Verträge unmißverständlich festzuhalten. Die Fähigkeit, zu lesen und zu schreiben, war ein hohes Kulturgut. Karl der Große (747-814) konnte beides nicht. Heute nimmt die Zahl der Analphabeten wieder zu.

Lesen bedeutet aber nicht nur, Buchstaben und Wörter zu erkennen, das kann auch der Computer. Texte müssen mehr beinhalten als reine Information. Lesen ist geleitetes Phantasieren und selbständiges Produzieren von Wirklichkeit aus Zeichen. Der Leser ist aktiv; er erschafft seine eigene Wirklichkeit, indem er sein Selbst mit der äußeren Wirklichkeit zusammenführt. Die Verbindung seiner inneren Wirklichkeit mit denen eines Textes erfährt er als Erweiterung des Bewußtseins und der Aufmerksamkeit.
Lesen ist also eine Kunst. Beim Lesen sind nicht nur die kognitiven Fähigkeiten beteiligt, sondern es schwingen auch irrationale Gedanken und Gefühle mit sowie Vorlieben, Abneigungen und Ängste. Lesen ist ein ganzheitliches Erleben, an dem Kopf und Herz gleichermaßen beteiligt sind, daher verfallen wir zuweilen dem Zauber eines Buches. Das geschieht vor allem in der Kindheit und Pubertät. Lesen kann zur Magie werden.

Die Kunst des Lesens wird dadurch erschwert, daß eher kurze Texte als ganze Bücher gelesen werden. Diese werden oft nur diagonal im Schnellverfahren gelesen. Es gibt Lernprogramme, die rationelles Lesen erleichtern: Doppelzeilentechnik, Tannenbaum-Lesen, Slalomtechnik, Zick-zack-Methode. All diese Lesearten können aber keinen Glauben begründen oder vertiefen. Dafür ist ein hingebungsvolles, existentielles Lesen notwendig. Auch im Zeitalter der automatischen Textverarbeitung läßt sich noch immer zwischen den Zeilen lesen.

Jesus ist das menschgewordene Wort Gottes. Er verkündet uns die Botschaft vom Heil. Diese Botschaft ist in der Heiligen Schrift sehr verkürzt. Jesus hat selbst nicht geschrieben. Es bedarf großer Anstrengung, das von Jesus gesprochene Wort in seiner Fülle wiederherzustellen. Es geht also darum, nicht geschriebene, sondern gesprochene Rede zu vernehmen und vom Leser zum Hörer zu werden; denn der Glaube kommt vom Hören. Eine ähnliche Aufgabe hat die Predigt, die das, in der Heiligen Schrift verkündigte Wort Jesu in volle Sprache rückübersetzt. Eine Lesepredigt ist eigentlich sprachlich nicht vermittelbar.

Die Macht des Lesens ist heute erkannt und wird in der Bibliotherapie eingesetzt. Der Leser wird durch ein Buch mit seinem eigenen Leben konfrontiert. Früher gab es nur wenige Bücher, und es konnten nur wenige Menschen lesen. Über der Bibliothek von Alexandria stand: „Heilstätte der Seele“. Die Heilkraft des Lesens hat nicht nur mit Krankheit und der damit verbundenen Mobilisierung von Selbstheilungskräften zu tun, sondern ist auch Mittel zur Selbstfindung.

Der nach eigenen Aussagen in den Bekenntnissen (Confessiones) unter starker Depression leidende Augustinus (354-430) bekam den Hinweis: „Nimm und lies!“, und die Verzweiflung schwand aus seinem Herzen.

Teresa von Avila (1515–1582) empfing den entscheidenden Impuls zu einem neuen geistlichen Leben durch die Lektüre der Bekenntnisse des Augustinus.

Edith Stein (1891-1942) hat im Haus ihrer Freundin Hedwig Conrad Martius (1888-1966) in einer Nacht die Biographie der Teresa von Avila gelesen und erkannt: „Das ist die Wahrheit.“

Der als Soldat verwundete Ignatius von Loyola (1491–1556) las auf dem Krankenlager Heiligenlegenden und die Heilige Schrift. Das motivierte ihn, sein Leben zu ändern.

Biographien können positive Antriebe für das eigene Leben geben.

Unter der Überschrift „Keine Lust zum Lesen“ und den einleitenden Zeilen „Deutsche Jugendliche sind viel im Internet unterwegs. Ihnen fehlt aber die Orientierung. Wer nicht analog liest, geht in den Informationsfluten des Internets unter“ zeigte Heike Schmoll (* 1962) in der F.A.Z. vom 20. Mai 2021 auf, daß nur wenige Menschen das Glück des Lesens erfahren.

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