28.6.2021

Spiritual in meiner Wohnung in Billerbeck

Was ich die meiste Zeit in meinen Priesterjahren hauptamtlich als Spiritual tun durfte, führe ich jetzt als Pensionär in meiner Wohnung in Billerbeck weiter. Die Menschen kommen von nah und fern, um mit mir über ihre Probleme zu sprechen, und verlassen mich in der Regel, ohne daß ich selbst viel gesprochen habe.

Georges Bernanos‘ (1888-1948) Roman „Tagebuch eines Landpfarrers“ beschäftigt mich seit meiner Primiz. Damals wählte ich einen Satz aus diesem Buch als Primizspruch: „Wir sind nicht Herren eueres Glaubens, sondern Diener euerer Freude.“ (2 Kor 1,24) Heute weiß ich, wieviel Hilfestellung ich leisten durfte.

Georges Bernanos berichtet von der Begegnung des Landpfarrers mit einer verbitterten Frau. Der Pfarrer kann ihr helfen und notiert anschließend in sein Tagebuch:
„Welch ein Wunder: schenken zu können, was man nicht besitzt. O sanftes Wunder unserer leeren Hände! Die Hoffnung, die in meinem Herzen erstarb, ist in ihrem wieder aufgeblüht.“

Das Buch endet mit dem Satz: „Was macht das schon aus? Alles ist Gnade.“

 

Zu dieser Gnade gehören auch meine geöffneten Hände, die ich Gott hinhalte, wenn ich erfahren möchte, was ich den Menschen sagen kann.

Die Erfahrung von Gnade drückt auch Werner Bergengruen (1892-1964) in seinem Gedicht „Die himmlische Rechenkunst“ beispielhaft aus::
Was dem Herzen sich verwehrte,
laß es schwinden unbewegt:
Allenthalben das Entbehrte
wird dir mystisch zugelegt.
Liebt doch Gott die leeren Hände,
und der Mangel wird Gewinn.
Immerdar enthüllt das Ende
sich als strahlender Beginn.
Jeder Schmerz entläßt dich reicher,
preise die geweihte Not.
Und aus nie geleertem Speicher
nährt dich das geheime Brot.