7.6.2022

Streiten

Wir haben keine Streitkultur mehr. Es fehlt uns der geregelte Wertstreit, der nach fairen Regeln eines Kampfspieles abläuft. Um die Wahrheit zu finden, müssen wir erst die Meinung derer erfahren und bedenken, die anders urteilen. Heute gilt es, den Gegner in die Enge zu treiben. Es gehört aber zur Kultur des Streitens, sich an Regeln zu halten.

Martin Luther wollte zum Beispiel mit seinen 95 Thesen seine Kollegen und Kirchenmänner zur Disputation einladen. Das entsprach akademischem Brauch. Davon ist heute nicht mehr viel übrig.

Für mich ist es wichtig, Gegensätze zu akzeptieren und sie vielleicht sogar als Bereicherung zu erfahren. Bei einigen Menschen scheint das Begreifen mancher Wirk­lichkeit die eigene, enge Perspektive zu übersteigen. Je grund­legender und umfassender die Wirklichkeit ist, desto heftiger auch der Streit darum, wer im Besitz der letzt­gül­tigen Wahrheit ist und somit das Definitionsrecht hat. Für gläubige Menschen heißt die grundlegendste und umfas­send­ste Wirklichkeit „Gott“, der der Zusammenfall der Gegensätze ist.

Johann Spermann SJ (* 1967) formuliert: „Im ,Nebeneinander-leben-lassen‘ von Meinungen und Zielen entsteht Raum für Kreativität und lebensnahe Lösungen.“ „Der Kompromiß ist eine der größten Leistungen der Menschheitsge­schich­te.

Kompromisse kann aber nur schließen, wer die Sichtweise und den Stand­punkt anderer Menschen versteht. Bei „Kompromiß-Problemen“ hilft der Mediator.

Wenn die Phase der Verliebtheit vorbei ist, wählen man­che Paare ein anderes „Bindemittel“, um nicht nebeneinan­der­her zu le­ben. Nicht selten bietet sich der Streit an. Manchmal wird er auch auf­­geschoben, und statt dessen werden „Rabattmarken“ ge­sam­­­­melt, die dann zu einem bestimmten Anlaß alle gleich­zeitig in Form von sogenannten Retourkutschen, wie zum Beispiel „Dann und dann hast du ...“, auf den Tisch kom­men. Manche Paare streiten auch gerne, weil nachher das Ver­söhnen so er­leb­nis­reich ist.

Siehe auch Konfliktfähigkeit.