11.2.2023

Vergangenheit und Zukunft

Wir westlichen Menschen sehen die Zukunft vor und die Vergangenheit hinter uns. Das ist nicht bei allen Menschen so. Für die Aymara- und Quechua-Indianer in den Anden liegt die Zukunft hinten. Das Wort Zukunft heißt bei ihnen „qhipa=dahinter“. In ihrer Vorstellung befindet sich die Zukunft hinter ihnen und die Vergangenheit vor ihnen; denn das Vergangene ist bekannt und liegt klar sichtbar vor ihnen. Daher heißt die Vergangenheit in ihren Sprachen auch „nawpa=davor“.

Auch in der Kirche sehen viele Menschen die Vergangenheit vor sich; denn es muß alles so bleiben, wie es ist und war. Oft imaginiert man eine Vergangenheit und stilisiert sie zu einer Tradition.

Augustinus (354-439) schreibt in seinem Werk „Confessiones – Bekenntnisse“: „Es gibt drei Zeiten, eine Gegenwart in Hinsicht auf die Gegenwart, eine Gegenwart in Hinsicht auf die Vergangenheit und eine Gegenwart in Hinsicht auf die Zukunft.“

Für manche Menschen ist die Zukunft lediglich eine verlängerte Gegenwart. Menschliches Leben ist aber nur sinnvoll, wenn es über sich hinausweist. Dabei kann plötzlich die Endlichkeit aufblitzen, und wir erkennen, daß wir sterblich sind. Tod ist jedoch nichts anderes als Leben in einer anderen Daseinsform. Für Gott gibt es keinen Tod. Er öffnet die Zukunft, und darauf gilt es zu vertrauen.

Jakob hatte dieses Vertrauen. Um Rachel heiraten zu dürfen, mußte er ein zweites Mal sieben Jahre arbeiten, weil man ihm nach den ersten sieben Jahren Lea untergeschoben hatte. Auf Grund seiner Liebe, die er für Rachel empfand, erschienen ihm die sieben Jahre wie wenige Tage (vgl. Gen 29).

Lot und seiner Familie hat Gott ermöglicht, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, und ihnen die Zukunft geöffnet, indem er ihnen unter der Auflage, nicht zurückzuschauen, die Flucht aus Sodom gewährte. Lots Frau jedoch hat das Vertrauen mißbraucht und erstarrte direkt, als sie zurückblickte, zu einer Salzsäule (vgl. Gen 19,26).

Vergleichbares ereignet sich, als Hades, der Gott der Unterwelt, Orpheus erlaubt, unter der Voraussetzung, sich nicht umzuschauen, seine geliebte Frau Eurydike zurück ins Leben zu holen. Kurz vor dem Ausgang der Unterwelt aber schaut Orpheus sich um und hat so Eurydike für immer verloren.

Die Vergangenheit gehört uns nur noch in der Erinnerung, mit Ungewißheit schauen wir in die Zukunft. Mögen wir die Gegenwart nicht vergessen!!!