8.9.2022

Was das Gehirn tut, wenn es schläft

Träume

Mein Interesse für Träume

Ich habe entdeckt, daß ich die Wahrheit über mich selbst nicht außer­­halb, sondern nur in meinem Inneren finde. Sie liegt in meinem Un­bewußten begründet, wo ich meinen inneren Arzt, meinen inneren Meister, meinen inneren Spiritual und vieles mehr finde. Mir ist be­wußt geworden, daß Träu­me „die via regia“ – „der königliche Weg“ zum Unbewußten sind.

Voraussetzungen für den Zugang zu Träumen

Es gilt zu akzeptieren, daß wir 24 Stunden am Tag leben, unser Le­ben rhythmisch ist und Wachen und Schlafen Teil dieses Rhythmus sind. Darüber hinaus muß ich Träume für wertvoll halten.

Das Phänomen Traum

Ein Drittel unseres Erdenlebens verbringen wir im Schlaf und pulsie­ren körperlos und ohne Ich-Bewußtsein durch die Raum-Zeit-Gren­zenlosigkeit unserer Ge­­samtwesenheit.

Träume greifen schöpferisch in unsere Wirklichkeit ein. Ein Vier­tel des nächtlichen Schlafes, mehr als fünf Jahre der Le­bens­zeit, verbringen Menschen mit intensiven Traumerleb­nis­sen. Die Seele schläft niemals. Manche Menschen vertreten die Meinung, der Traum habe zwar keine Be­deutung, aber eine sehr wichtige Funk­tion.

Bei einem Neubeginn, wie zum Beispiel einem Wohnungswechsel, einer Therapie oder einem Lebensab­schnitt, steht in der Regel ein Initialtraum, der auf­zeigt, was pro­blematisch ist. Im weiteren Ver­lauf wird der Traum unklarer, und das Un­be­wußte verschleiert sich. Der Ini­tial­traum enthält Aussagen über Heilungsabsichten. Träume sind zu unterscheiden von Visionen, das heißt von Traum­­bildern bei Ta­ges­be­wußt­sein, und diesen ähnelnden Hallu­zi­na­tionen. Bei Visionen erkennt der Mensch den Einbruch aus der Traum­welt und wird da­durch bereichert; bei Hal­luzi­na­tionen hält er das Hereinbrechende für die reale Außen­welt, vermischt es mit die­ser und wird dadurch verwirrt. Echte Hal­lu­zinationen haben folgende Merkmale:

  1. Unkontrollierbarkeit des Beginns, des Endes und der Inhalte der Wahrnehmung
  2. Projektion der Wahrnehmung in den Außenraum, das heißt außer­halb der Sinnesorgane
  3. Überzeugung vom Realitätsgehalt der Bilder
  4. Stabilität des Bildes, so daß man darauf schauen kann.

Es gibt eine Sucht nach Erscheinungen. Nur 10% der Men­schen ha­­ben Visionen. Große Träume haben auch für andere eine Be­deutung, man denke nur an Martin Luther King. Manche sehen im Traum einen Selbstreini­gungs­versuch. Träume sind eine uner­schöpf­liche Quelle und ein vor­zügliches Mittel für die Selbst­entdeckung und Selbster­kenntnis. Das gilt besonders für Klar­träu­me, sogenannte luzide Träu­me, während derer der Träumende weiß, daß er träumt und in das Traum­ge­schehen eingreifen könnte. Wer auf seine Träume ein­geht, taucht in sein Unbewußtes ein und dieses in ihn.

Die falsche Interpretation eines Traumes wird in der Regel durch Folgeträume korrigiert.

Alpträumen (Alp = Nachtmahr, Gespenst) kann man durch Klar­träume begegnen. Es gibt eine Wechselwirkung zwi­schen Traum und Gefühl. Im Alp­traum äußern sich unbear­beitete Gefühle, die uns auch noch am nächsten Tag beschäftigen.

Im Traum treffen wir auf unbewußte Konflikte, verdrängte Äng­ste und nicht ausgesprochene Erwartungen, die unseren Blick trüben.

Wenn ich eine Person an­ders sehe, als sie ist, handelt es sich um Projektionen. Wer seine unbewußten Seiten kennenlernt und sich mit ihnen ver­söhnt, wird weniger auf andere projizieren. In jedem Traum gibt es Impulse aus zwei Bereichen, aus dem per­­sön­lichen und aus dem kollektiven Unbewußten. Zum persönlichen Unbewußten ge­hö­ren Schattenfunktionen, Anima-Animus-Funk­tion, Vater-Kom­plex, Mut­ter­-­Kom­plex und Eltern-Komplex.

Archetypisches personifiziert sich zum Beispiel nicht selten im eigenen Schatten als Teu­fel, in Tiergestalten als Schlange, in Ele­menten als Was­ser oder in abstrakten Formen als Mandala oder Yin-Yang.

Selbsttäuschungen zeigen sich in Bildern, und auch Widerstände werden im Traum deutlich. Traumimpulse müssen sich im Bewußtsein verhaften.

Der Traum und seine Bilder

In unserem Innern haben wir nicht die Realität, sondern Bilder von der Wirklichkeit vor Augen. Der Traum spiegelt unser Innenbild von der Wirk­lichkeit.

Im Traum gibt es Bilder statt Gedanken. Nur was sich bildlich dar­stellen läßt, kann Inhalt eines Traumes sein. Bilder drücken die­sen schneller und vollständiger aus als Worte.

Im Traum herrscht die Aufhebung von Raum und Zeit; denn die In­halte des Unbewußten sind zeitlos. Räumlichkeiten im Traum sind Symbole der psychischen Topographie:

– unterirdische Räume = Unbewußtes

– obere Räume = geistige Sachverhalte

– mittlerer Weg = Kompromiß

Laut Sigmund Freud kann jedes Bild auch dessen Gegenteil be­deuten.

Gottes Botschaft im Traum

Die Alten glaubten, im Traum stünden ihnen göttliche Mächte beson­ders nah, um ihnen den Weg des Lebens zu weisen.

Wir sind aufgeklärt. Die Psychoanalyse rechtfertigt aber die Ehr­furcht und Wertschätzung der Alten gegenüber den Träumen. Aris­toteles formulierte: „Das Träumen ist das Seelenleben wäh­rend des Schlafes.“

Die Meinung der Kirche ist zwiespältig; sie erkennt zwar an, daß ge­wisse Träu­me von Gott kommen, hat aber gegenüber der Be­schäf­tigung mit Träu­men erhebliche Vorbehalte.

Eine Verarmung des Traumerlebens ist ein Gradmesser für den Nie­dergang der Intensität religiöser Erfahrung. Durch unsere Träu­me sind wir nah an Gottes Ohr. Sie öffnen auch unser Ohr, nicht aber das Auge, obwohl das Traumerleben wesentlich visuell ist. Hö­ren reicht tiefer als Sehen und führt zum Gehorchen.

Es gibt die Vermutung, das Traumerleben stamme aus einer Zeit vor dem Spracherwerb unserer Vorfahren und habe unter anderem auch in den Höhlenzeichnungen Gestalt angenommen.

Es mag auch Menschen geben, die verbal träumen, das heißt, sie haben keine Traumbilder, sondern nur auditive Empfindungen. Was wir normaler­weise im Traum hören, ist meistens außerordentlich un­be­­stimmt. Wir kommen im Traum auch nie richtig zu Wort. Wir sa­gen zwar etwas, erinnern uns aber später nicht an das, was wir ge­sagt ha­ben.

Betrachtet man seine Träume, so überwiegt bildhaftes Er­le­ben. Die Bilder müssen in Sprache übersetzt und deuten­d zum Ver­ständ­nis gebracht werden; denn sie zeigen sich in einer Allegorie. So wünscht man zum Bei­spiel einem Menschen, der in einem Schrank ein­geklemmt ist, er möge sich „ein­schränken“.

Bilder stellen manches viel schneller und vollständiger dar, als Wor­­­­te es vermögen. Wir träumen sowohl schwarz-weiß als auch far­big.

Bezüglich der Symbolik gilt es zu beachten, daß nicht alles als Symbol für etwas steht: Eine Katze zum Beispiel symbolisiert etwas, steht aber nicht als Sym­­bol für et­was. Sie kann nur für den individu­el­len Träu­mer zum Sym­­bol werden.

Zwei Möglichkeiten des Bildes

  1. Viele Seiten der Wirklichkeit stellen sich gleichzeitig dar und ver­deutlichen so den Zusammenhang verschiedener Aspek­te. Die Wahr­heit ist paradox und akausal, sie liegt jenseits von Ursache und Wir­kung.
  2. Das Bild kann allegorische Zusammenhänge (Schrank und ein­schränken) anklingen lassen. Wir müssen ein Gespür für Analo­gien ent­­­wickeln; ebenso für Synchronizität.

Erinnern der Träume

Nüchterne und selbstwertbewußte Menschen, die für gefühls­mäßige Dinge wenig Sinn haben, erinnern sich selten an Träu­me, im Ge­gen­satz zu sensiblen, gefühlsmäßig ansprechbaren und weniger selbst­wert­be­wußten Menschen.

Der erste Traum nach dem Einschlafen befaßt sich mit Ta­ges­res­ten, der um Mitternacht folgende mit Inhalten aus der Ver­gangen­heit, und die Träume in den Morgenstunden sind Ausdruck des Un­be­wußten, in denen sich verdrängte Wün­sche auftun.

Analyse der Träume

Traumarbeit ist nicht Traumdeutung, sondern Traum­ver­stehen. Ein Traum ist richtig verstanden, wenn er eine Verän­derung im Handeln des Träumers verursacht.

Meist analysiert man die Träume kranker Menschen, um sie für deren Therapie zu nutzen. Wie verhält es sich aber mit der geist­lichen Dimen­sion der Träume? Im Traum ist unsere eigene Aktivität ausgeschaltet, so hat Gott mehr Gelegenheit, aktiv zu werden.

In den Träumen bricht die geistige Wirklichkeit in unser Leben ein. Der Traum korrigiert und ergänzt unsere bewußte Sicht und er­öff­net ganz neue Horizonte.

In der psychologischen Traumdeutung müssen wir die Spra­che ler­­­nen, in der Gott zu uns spricht. Dabei ist es wichtig zu fra­gen, was er uns in der Traumsprache sagen will. Um mit ihm über un­se­re Träu­me zu sprechen, müssen wir uns in die Traumbilder hineinme­­ditieren. So läßt sich erahnen, was er uns vermitteln möchte. Wenn wir unsere Träume in unser Gebet hineinnehmen, können wir er­kennen, was wir beachten sollen und welche Schritte wir zu gehen haben.

Deutungen der Träume

Es ist ratsam, mit der Deutung auf der Objektstufe zu be­gin­nen; denn dort ist der Realbezug zu Tages­erleb­nissen, handelnden Per­sonen und organi­schen Rei­zen gegeben.

Man kann aber auch sofort mit der Betrachtung auf der Sub­jektstufe beginnen. Dort tritt dem Träumer die eige­ne Psy­che in der Hand­lung und den Akteu­ren des Trau­mes entgegen.

In archetypischen Träumen sind Personen, Dinge und Orte un­be­kannt, anders verhält es sich in typischen Träumen. Dort gibt es nichts Allgemeingültiges. Träume sind aber in der Regel ambivalent.

Traumarbeit als Heilungsvorgang

Der Traum manifestiert sich als ein Impuls für das Ich-Bewußtsein des Träu­mers. Ein unverstandener Traum ist ein Ereignis, ein ver­stan­dener ein Erlebnis. Durch den Traum kann das Ich erstarken. Im Traum geschieht eine spi­ralförmige Beschäftigung mit ei­nem Thema, es findet eine Ver­bil­derung auf einer höheren Ebe­ne statt. Der Traum bearbeitet Mosa­ik­steine, und der so modifizierte Inhalt ver­ändert das Ganze.

Hat man die rechte Lösung gefunden, ist jeder kleinste Teil des Bildes stimmig. Instinktive Inhalte werden durch die Träume dem Bewußtsein zugespielt. Jeder Traum ist einen Schritt weiter als das Alltagsbewußtsein.

Träume als Begegnungsfeld von Theologie und Psychologie

Die Bibel gibt eindeutig Zeugnis davon, daß „Träume die Sprache Got­tes“ sind, beziehungsweise Gott durch Träume zu den Menschen spricht. Wie wenig werden sie aber heute in der geistlichen Beglei­tung genutzt. Als Theologie und Psychologie auseinanderfielen, strecken­­­weise sogar Feinde wurden, gerie­ten die Träume auf die psy­­­­chologische Seite. Es besteht eine Chance, das Feld zurück­zu­gewinnen und die Träume auch für die Theologie wieder nutzbar zu machen.

Träume als Hilfe und Wegweiser auf dem Weg zu Gott

Im Buch Ijob hat das Kapitel 33,14-33 in der Einheits­über­setzung 1980 die Überschrift „Gottes vielfältige Zeichen“.

Der Traum ist ein vorzügliches Medium für Offenbarungen Got­tes. Sie zeigen sich dem Menschen, der vom Hören zum Lauschen und vom Sehen zum Schauen (Visio) gelangt.

Bei Pauli Bekehrung wird beides wirksam:

– Apg 9,3: Licht umstrahlte ihn, und er hörte eine Stimme, während seine Begleiter hören, aber nicht sehen.

– Apg 22,6: Licht umstrahlte ihn, und er hörte eine Stimme, während seine Begleiter Licht sehen, aber nicht hören.

– Apg 26,13: Er sah Licht und hörte eine Stimme.

Hinweise für den geistlichen Begleiter

  1. Ist das Eingehen auf Träume angebracht?
  2. Die eigene Reaktion auf den Traum des anderen bedenken.
  3. Mut haben, eine eigene Deutung zu geben.
  4. Den Traum in ein geistliches Programm umsetzen.

Die Psyche macht als Zensor die auftretenden Triebre­gungen un­kennt­lich, indem sie sie verschlüsselt. Der Traum­deu­ter geht in der Rol­­le des Zensors den umgekehr­ten Weg.

Neben den Impulsen aus dem Es (Sigmund Freud: Über-ich, Es, Ich) gibt es noch zwei weitere bereits erwähnte la­ten­te Traumin­hal­te:
1. nächtliche Sinneseindrücke
2. Tagesreste

Regeln für den Umgang mit Träumen

Schon abends alles Notwendige für Notizen zurechtlegen, zum Bei­spiel Papier und Stift, besser noch ein Diktiergerät oder Ähnliches.

Den Traum direkt nach dem Aufwachen aufschreiben oder auf­sprechen als bewußtes Wiederannähern an den Inhalt, bevor Alltags­ein­drücke das Wachbewußtsein überlagern.

Es geht nicht nur um die Traumhandlung, sondern auch um das Traum­­­­gefühl; denn dieses ist der eigentliche Zugang zum Traum­ver­ste­hen. Daher lohnt es sich, die Träume mit Ortsangabe, Datum und Mondstand über längere Zeit aufzuschreiben und mit einer Über­schrift zu versehen, um den roten Fa­den zu entdecken. Die zeitliche Abfolge vermittelt Aufschluß über Lebens- und Krank­­heits­ge­schich­te mit der entsprechenden inneren Reifung.

Außerdem ist es sinnvoll, die Träume nach Motiven zu ordnen und eine Traumdatei anzulegen; denn erfahrungsgemäß tauchen immer wie­­der dieselben The­menkreise auf, unter anderen Vater-/Mutter­be­ziehung, Eheprobleme und Be­rufs­konf­lik­te.

Weiterhin sollte man zum Traumtext Einfälle aufschreiben, um vom manifesten Traum­­text, nämlich dem, was der Träumer nach dem Erwachen vom Traum im Be­wußtsein erfassen kann, zum latenten Traum­­inhalt, den un­be­wußten Ge­danken oder Wünschen, zu gelangen. Die Bedeutung der manifesten Traumbilder läßt sich erst durch den dahinterliegenden latenten Trauminhalt erschließen.

Es ist wichtig, den Traum ernstzunehmen und mit ihm ein Ge­spräch zu beginnen, ihn zu meditieren, gedanklich fortzuführen und Einfälle durch auto­­­genes Training zu fördern.

Hilfreich ist es auch, den Traum mit einem anderen Menschen zu besprechen und Traumbilder zu malen.