15.3.2022

22. August 1937

Das Licht der Welt erblickte ich an den Iden des März, dem 15. März 1936

An meinem Geburtstag denke ich daran, welche Vorgaben mir in die Wiege gelegt wurden, welche Zugaben des Glücks ich erfahren habe und was mir bei den zahlreichen Aufgaben als Priester gelungen ist.

Cäsars Todestag 44 v. Chr. G. war für mich der Tag meiner Geburt aus dem Schoß meiner Mutter, in dem ich neun Monate ein Vorleben führte.

Ich bin eine Frucht der Hochzeitsnacht meiner Eltern, aber zuvor spielte ich in ihren Gedanken schon eine Rolle. Sie wünschten sich, einen Stammhalter, dem sie den Namen der beiden Großväter geben wollten: Johann, der Vater meines Vaters und Karl, der Vater meiner Mutter.

Mein Vorname Hans-Karl vereint die Namen meiner beiden Großväter. Der Name Hans leitet sich ab von Johannes (hebräisch יֹוחָנָן jôḥānān) und stammt aus der östlichen Welt, wohingegen der Name Karl auf das althochdeutsche Wort „karal = der Freie“ zurückgeht und in der westlichen Welt beheimatet ist. Somit fügt mein Name Ost und West zusammen. Manchmal frage ich mich, ob darin meine Vorliebe für den Zusammenfall der Gegensätze.

Beim Rückblick auf mein Leben entdecke ich, welche Ereignisse für mich wichtig waren, um ein selbständiges Leben zu führen.

Als ich als Sechsjähriger erfuhr, daß mein Vater in Rußland am 1. April 1942 gefallen war, und ich die Traurigkeit meiner Mutter und meiner kleinen Schwester erlebte, muß ich mich entschlossen haben, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Später habe ich entdeckt, daß Gott für mich der Zusammenfall der Gegensätze ist und wir Gegensätze nicht bekämpfen dürfen, sondern nebeneinander bestehen lassen müssen.

Ich bin kein Spezialist geworden, sondern eher ein Generalist. Mein erster Chef während meiner Kaplanszeit in Xanten, Propst Alfred Wilms (1915-1992), meinte bei meinem Wechsel nach Wesel: „Hans-Karl kann nicht alles, aber vieles sehr gut.“

In der Volksschule schrieb ich so klein, daß man das Ergebnis als Fliegenschiß bezeichnete. Ich konnte aber auch sehr groß Schreiben.

Meiner Mutter lief ich immer zu schnell, aber später beherrschte ich auch das Kinhin, das langsame Gehen im Zen.

 

 

 

 

Auf dem Gymnasium in Limburg wußte man im Musikunterricht nicht, ob man mich in den Tenor oder in den Baß stecken sollte. Ich vermag leise zu sprechen, kann aber auch mit meiner Stimme einen kleinen Saal ohne Mikrofon beschallen. Ich halte es in einer Zelle aus, aber auch auf einem Marktplatz, wobei mir die Weite mehr liegt als die Enge. Ich bin katholisch, was allumfassend bedeutet, aber das ist mir gerade eng genug; deshalb gehöre ich weder einer Partei noch einem Orden an. Ich brauche die Weite.

Ich bin überzeugt, daß Grenzen ursprünglich keine Abtrennung waren, sondern Prozesse der Durchlässigkeit. Diese sind wichtig, weil die Dinge Informationen mit der Außenwelt austauschen müssen. Alle uns umgebenden Objekte sind offene Systeme. Wir aber bauen Grenzen und errichten Zäune oder gar Mauern um unseren Besitz.

Als ich von 1974 bis 1992 Spiritual im Collegium Borromaeum in Münster war, - später war ich es auch in Haus Aspel in Rees am Niederrhein - hatte ich bei den Studenten zunächst einen schweren Stand. Da ich mich als Theologe mit Psychologie befaßte, war ich den Rechten zu links, und als ich als Zeremoniar Domvikar werden mußte, den Linken zu rechts. Bischof Reinhard Lettmann (1933-2013) kommentierte damals, das müsse mir doch sehr gut gefallen; denn so sei ich die extreme Mitte.

 

 

 

Am Altar stört es mich bei der Zelebration, wenn die einzelnen Gegenstände nicht im Goldenen Schnitt angeordnet sind. Auf meinem Schreibtisch ist mir das ziemlich egal, wichtig ist nur, daß ich alles finde.

 

 

Nach einem Fastenkurs bekam ich von einer Teilnehmerin die Rückmeldung:

Noch nie in meinem bisherigen Leben ist mir ein Mensch begegnet, der auf mich so distanziert, reserviert, redegewandt, fern und manchmal „erhaben“ wirkte – und gleichzeitig so viel Ehrlichkeit, Offenheit, Menschlichkeit, Gefühl und Wärme ausstrahlt! Danke

Aus demselben Kurs:
Durch ihre Einheiten während der Woche bin ich mir selber ein ganz Stück näher gekommen.

In einem anderen Kurs, den ich in Vertretung übernommen hatte, wo weder ich die Frauen noch die Frauen mich kannten, sagte man mir nach anderthalb Tagen: „An Sie können wir gar nicht herankommen.“ Ich antwortete: „Das sollen Sie auch nicht. Sie sollen an sich herankommen.“

Man sagt mir nach, ich hätte auch Mediator werden können; denn bei mir dürfe jeder so sein, wie er ist, was aber nicht so bleiben müsse. Wenn jemand sich ändern, das heißt, an sich arbeiten will, helfe ich gerne.

Für viele Menschen ist ein Titel wichtig. Ich lasse mich aber nicht mit einem Titel anreden. Mein offizieller Titel ist Pfarrer, der ich aber nie gewesen bin. Was ich am längsten gewesen bin, bin ich auch jetzt wieder: Spiritual.

Viele Erfahrungen in meinem Leben möchte ich nicht missen. Auch mit dem, was man mir als Hindernis in den Weg gelegt hat, bin ich ausgesöhnt. Nun gilt es zu erkennen, was ich loslassen muß, aber auch wozu ich noch fähig bin.

Ich möchte nicht die Kopie einer Person sein, die man sich vielleicht gewünscht hat, sondern ein Original, das es nur einmal gibt und in dem im Sterben die „Gegensätze“ zusammenfallen.

Ich bin dankbar für mein Leben und für die Aufgaben, die ich erfüllen durfte. Jetzt lebe ich nach dem Motto des heiligen Martin von Tours (um 316/317-397): „Er weigerte sich nicht zu leben und fürchtete sich nicht zu sterben.“