
28.4.2021
Welchen Stellenwert hat die Moral im Christentum?
Was steht am Anfang unseres Lebens? Segen oder Pflicht? Wohlwollen oder Moral? Moral gehört zum Religiösen, sie soll das Religiöse begleiten, aber nicht ersetzten. Inzwischen hat die Moral die Herrschaft übernommen. Kirchliche Botschaften werden vor allem als ethische Botschaften unters Volk gebracht, vor allem bezüglich der Sexualität. Wo ist da noch der Bezug zum Jenseits? Dieser müßte vor allem in der Verkündigung aufscheinen.
Der Mensch ist weder Engel noch Tier, wenn auch aus diesem hervorgegangen. Als einziges Wesen auf der Erde erfährt der Mensch eine moralische Entwicklung. Es gilt zu erkennen, daß Gesetze in bezug auf das moralische Verhalten, so zum Beispiel auch Gesetze zur Abtreibung oder Sterbehilfe, nur einen zeitlich begrenzten Charakter haben. Menschengemäße Lösungen können erst gefunden werden, wenn in den Menschen die Kraft und der Mut lebendig sind, die Verantwortung für ihre Taten und deren Folgen selbst zu tragen.
Die Kirche ist zu allen Zeiten in Gefahr, die Gnade zu verwalten. Das Ablaßwesen ist ein sprechendes Zeugnis dafür. Gerade heute haben viele Menschen den Eindruck, daß dieser Jesus, wie er in der Geschichte mit der Ehebrecherin erscheint, in den kirchlichen Institutionen, vor allem in der Ehe- und Sexualmoral so gut wie gar nichts mehr zu sagen hat. Wir erleben das schmerzlich bei der Frage nach der Zulassung Wiederverheirateter-Geschiedener zu den Sakramenten. Wem ermöglicht die Kirche einen Neuanfang?
Die Kirche versündigt sich, weil sie die Sexualität noch immer verteufelt und sie nur zur Zeugung von Nachkommen, und das auch nur in der Ehe, gelten läßt. Alles andere ist schwere Sünde. In dem Buch „Katholische Moraltheologie“ von Heribert Jone (1885-1967), nach dem meine Generation in den 1950/1960er Jahren noch lernen mußte, war von „ehrbaren“, „weniger ehrbaren“ und „unehrbaren“ Körperteilen die Rede.
Riten und Rituale machen am ehesten erlebbar, was Religion leisten kann, nämlich Medium zu sein für die sinnliche Darstellung des den Sinnen Entzogenen. Religiöse Riten und Rituale sind „jenseits“ von Dogma und Moral angesiedelt und folgen einer anderen Logik.
All das hat dazu geführt, daß an erster Stelle das Urteil steht und dann erst die Barmherzigkeit folgt. Bei Jesus war es anders, und auch Papst Franziskus (* 1936) hat den Grundsatz „Barmherzigkeit“. So geht er zum Beispiel am Gründonnerstag in Gefängnisse und wäscht den Gefangenen die Füße.
In solcher und ähnlicher Form kann Moral unser Leben begleiten. Schon der Faustkeil der Steinzeit hatte eine moralische Zweideutigkeit, erst recht die Erfindung des Messers; es sollte zum Brotschneiden dienen und nicht zum Töten.
Siehe auch Impuls vom 22. April 2021 – Ist Technik moralisch neutral?,
Impuls vom 13. Februar 2019 – Liebe und Sexualität
und
Impuls vom 11. Februar 2019 – Liebe und Sexualität.