29.6.2021

Wie erkennen wir, wann und wie Gott uns hilfreich zur Seite steht?

Ich spreche oft mit Menschen, selbst mit Priestern, die wünschen, Gott möge sich doch einmal für sie bemerkbar machen. Dabei teilen sie mir nicht selten Erfahrungen mit, die ich nur mit dem Satz „Da war ER doch“ kommentieren kann.

Wir können Gott nicht sehen. Aber wir können ihn erleben. In der Geschichte vom Propheten Elija war Gott nicht im Sturm, nicht im Erdbeben und auch nicht im Feuer, sondern „nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln“. (1 Kön 19,12)

Martin Buber (1878–1965) übersetzte diese Stelle mit: „Stimme verschwebenden Schweigens.“

In moderner Weise erzählt, klingt diese Erfahrung zum Beispiel in den beiden folgenden Texten wie folgt:

Margaret Fishback Powers (* 1944):
Spuren im Sand

Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel
erstrahlten, Streiflichtern gleich,
Bilder aus meinem Leben.
Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand,
meine eigene und die meines Herrn.

Als das letzte Bild an meinen Augen
vorübergezogen war, blickte ich zurück.
Ich erschrak, als ich entdeckte,
dass an vielen Stellen meines Lebensweges
nur eine Spur zu sehen war.
Und das waren gerade die schwersten
Zeiten meines Lebens.

Besorgt fragte ich den Herrn:
Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen,
da hast du mir versprochen,
auf allen Wegen bei mir zu sein.
Aber jetzt entdecke ich,
dass in den schwersten Zeiten meines Lebens
nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
Warum hast du mich allein gelassen,
als ich dich am meisten brauchte?

Da antwortete er: Mein liebes Kind,
ich liebe dich und werde dich nie allein lassen,
erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast,
da habe ich dich getragen.

Der Brunnen-Verlag bietet dieses Gedicht als verschiedene Geschenkmöglichkeiten unter der Rubrik „Geschenkewelt“ an.

In dem im Verlag Andere Zeiten e.V. erschienenen Buch „Typisch! Kleine Geschichten für andere Zeiten“ findet sich die Geschichte

Nein, danke
Ein gläubiger Mensch rettet sich während einer riesigen Überschwemmung auf das Dach seines Hauses. Die Fluten steigen und steigen. Eine Rettungsmannschaft kommt in einem Boot vorbei und bietet an, ihn mitzunehmen. „Nein, danke“, sagt er, „Gott wird mich retten.“ Die Nacht bricht an, und das Wasser steigt weiter. Der Mann klettert auf den Schornstein. Wieder kommt ein Boot vorbei, und die Helfer rufen: „Steig ein!“ ,,Nein, danke,“ erwidert der Mann nur. ,,Gott wird mich retten.“ Schließlich kommt ein Hubschrauber. Die Besatzung sieht ihn im Scheinwerferlicht auf dem Schornstein sitzen, das Wasser bis zum Kinn. ,,Nehmen Sie die Strickleiter“, ruft einer der Männer. ,,Nein, danke“, antwortet der Mann, ,,Gott wird mich retten.“ Das Wasser steigt weiter, und der Mann ertrinkt. Als er in den Himmel kommt, beschwert er sich bei Gott: ,,Mein Leben lang habe ich treu an Dich geglaubt. Warum hast Du mich nicht gerettet?“ Gott sieht ihn erstaunt an: ,,Ich habe Dir zwei Boote und einen Hubschrauber geschickt. Worauf hast Du gewartet?“

* * * * *

Ich könnte viele vergleichbare Geschichten von anderen und von mir selbst erzählen. Bei allen geht es darum, keine Erwartungen zu haben, erst recht keine Vorstellungen, wie es vor sich gehen sollte, wenn Gott sich erfahrbar macht. Es geht hier um Mystik, von der Karl Rahner (1904–1984) schreibt: „Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“

Wer sich selbst erkennt, wird erkennen, daß er ein Kind Gottes ist.