
25.4.2020
Wie frei ist der Mensch?
Äußere Beschränkung führt zu innerer Freiheit
Freiheit bedeutet nicht Bindungslosigkeit, sondern sie braucht Verbundenheit und Halt. Sie hört auf, wo die Freiheit des anderen beginnt. Eine paradoxe Wahrheit lautet: „In der Bindung liegt die größte Freiheit.“
Es gibt keine wirksame Abgrenzung ohne Hingabe und keine wirkliche Hingabe ohne Abgrenzung. Die meisten Beziehungskonflikte beruhen darauf, daß die Partner entweder Hingabe mit Selbstverlust oder Abgrenzung mit Abwehr verwechseln.
Wir sind nicht so frei, wie wir es uns vorstellen und gerne möchten. Wir sind abhängig von unserem Erbgut, und vor allem von den Ermahnungen unserer Erzieher. Meine Mutter hat mir eingeschärft: „Hans-Karl, was sollen die Leute denken!“ Das ist mir mit meinen 84 Jahren noch immer nicht egal, aber ich setze mich inzwischen mehr und mehr darüber hinweg. Ich begleite Menschen, die sich bis ins hohe Alter entsprechend solcher Einschärfungen verhalten und daher im Leben nicht vorankommen. Manche müssen die Welt ihrer Eltern verlassen, um sich frei zu fühlen. Sie legen ihre angeborene gesellschaftliche Identität ab, und darauf basiert ihre Freiheit. Andere wiederum kopieren lediglich ihre Eltern.
Wo bleibt da die Selbstbestimmung? Wo die Autonomie? Freiheit beinhaltet das Recht, sich von anderen zu unterscheiden, aber auch die Möglichkeit, im Gewohnten zu bleiben. Freiheit ist das Aufrechterhalten von Zusammensein und Getrenntsein. Autonom ist, wer diese Spannung aushält.
Im biblischen Schöpfungsmythos kommt mit dem Bewußtwerden des Menschen über seine Existenz das Böse in die Welt, und zwar durch die menschliche Freiheit, wie sie im Sündenfall hervortritt. Sie besteht in der Fähigkeit des Menschen, sich eine eigene Welt einzubilden, die sich von derjenigen der anderen unterscheidet und verteidigt oder durchgesetzt werden will. Menschliche Freiheit ist die Voraussetzung für das Böse. Es ist der Hinterhalt der Freiheit, der gerade dort lauert, wo Entscheidung gefragt ist.
Wir sind aber nicht nur Subjekt, sondern auch Objekt; gebunden an Vieles, vor allem an den Tod. Letztlich sind wir abhängig von Gott, dürfen aber von der Hoffnung und Verheißung leben, daß alles gut wird. Die größte Freiheit liegt in der Bindung an Gott.
„Absolute Unabhängigkeit ist unmöglich. Im Denken sind wir angewiesen auf Anschauung, die uns gegeben werden muß, im Dasein auf andere, mit denen wir in gegenseitiger Hilfe erst unser Leben ermöglichen. Als Selbstsein sind wir angewiesen auf anderes Selbstsein, mit dem in Kommunikation wir beide erst eigentlich zu uns selbst kommen. Es gibt keine isolierte Freiheit.“ (Karl Jaspers 1883-1969)