25.12.2018

Wie Künstler Weihnachten sehen und darstellen

Eine energische, ernst und entschlossen blickende Frau ohne Heiligenschein, daher wohl eher die Lehrerin Grammatica mit der Rute als Jesu Mutter Maria, zieht den sich offensichtlich widersetzenden Jesus auf dem Weg in die Schule hinter sich her. Er trägt eine viel zu große Schiefertafel und scheint sich kraftvoll zur Wehr zu setzen.

Der allwissende Gott kam in seinem Sohn Jesus vor 2000 Jahren auf diese Erde. Da wurde Gott einer von uns. Der Steinmetz übermittelt mit dem Schlußstein eine Botschaft für Generationen: „Jesus ist einer von uns!“ Im Gegensatz zu den vielen frommen und abgehobenen Jesusdarstellungen zeigt dieser Schlußstein eine Szene, die zwar nicht biblisch überliefert ist, aber durchaus für einen jüdischen Jungen, der in der Synagoge das Lesen und Schreiben lernt, naheliegt. Trotz seines Widerstandes muß auch Jesus den Unterricht besuchen; denn „es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen!“

Gott wird einer von uns, in allem uns gleich außer der Sünde (vgl. Hebr. 4,15)! Das unfaßbare Geheimnis Gott kommt uns so nahe, daß er das wird, was wir sind: Mensch. Welche Ermutigung, dem Aufruf zu folgen: „Mache es wie Gott, werde Mensch!“ (Franz Kamphaus * 1932)

Wenn ich in unsere Zeit schaue, habe ich den Eindruck, daß es noch ein weiter Weg ist zur Menschwerdung. Wenn wir wirklich Mensch geworden sind, können wir vermut­lich nichts anderes wünschen, als eins zu sein mit IHM, um dadurch ganz wir selbst zu sein; aber „es gibt keine Himmelfahrt der Gotteserkenntnis ohne die Höllen­fahrt der Selbsterkenntnis.“ (Johann Georg Hamann 1730-1788)

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Das apokalyptische Weib und der Drache – Abteikirche Saint-Savin-et-Saint-Cvprien – Wandmalerei in der Vorhalle, um 1100

Noch nie in ihrer 2000jährigen Geschichte wurde die Kirche so verfolgt und gab es so viele Martyrer wie heute. Vom Angriff feindlicher Mächte auf die Kirche Jesu Christi handeln in der Offenbarung des Johannes eine Reihe von Visionen. Sie setzen ein mit der Erzählung von der apokalyptischen Frau und dem Drachen, der sie ihres Kin­des wegen bedrängt, von der Geburt des Sohnes und seiner Entrückung zu Gott, vom Sturz des Drachen und seiner Feindschaft gegen die Nachkommen der Frau. Der Seher Johannes schaut zum Himmel hinauf und erblickt den himmlischen Tem­pel geöffnet und in ihm die Bundeslade, das Zeichen für die Gegenwart Gottes. Das Kind, das die Frau geboren hat, wird vor dem Zugriff des Drachen bewahrt durch einen Engel, der vom göttlichen Thron herabfliegt und es an beiden Händen ergreift, während es selbst vom Schoß der Mutter emporschreitet.

Johannes schrieb seine auch Apokalypse genannte Offenbarung um 100 nach Christi Geburt, in einer Zeit, zu der sich bereits die Christenverfolgung abzeichnete. Für die davon betroffenen Kirchen in Kleinasien war sie ein Trost­buch; denn sie prophezeit Rettung inmitten einer großen Auseinandersetzung. Auch uns verkündet sie heute die Botschaft: Gott aber wird euch retten.

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Roller fahrendes Jesuskind in einem Xantener Gebetbuch – Foto: StiftsMuseum Xanten

Maria und das Jesuskind zählen zu den beliebtesten, aber auch anspruchs­vollsten Bild­motiven der christlichen Kunst. Identität und Bedeutung des göttlichen Kindes wollen herausarbeitet sein, ohne daß es dabei wie ein kleiner Erwachsener wirkt.

Der Buchmaler, der um 1450 ein Gebetbuch des Birgittenklosters Marienbaum illus­trierte, holt Mutter und Kind auf besonders anrührende und auch leicht humor­volle Weise in die alltägliche Gegenwart. Maria hält eine Breischüssel und einen Löffel in Händen. Doch ihr Sohn scheint keinen Appetit zu haben. Er entwischt ihr mit einem Lauflerngerät, das ein wenig an einen Roller erinnert. Die Abbildung ähnelt durchaus einer modernen Familienszene.

Die diesseitige Darstellung Jesu und der Heiligen war im späten Mittelalter Aus­druck einer neuen Frömmigkeit, der „Devotio moderna“, die eine praktische Nach­folge Christi lehrte. Künstlerisch ist die illustrierte Pergament­handschrift auch wegen ihres farbenfrohen, abwechslungsreichen Ranken­schmucks bedeutsam.

Man stellte sich in der Theologiegeschichte die Frage, ob Jesu Leib genauso funk­tionierte wie der Körper des Menschen: Ging Jesus zur Toilette, hatte er triebhafte Be­dürfnisse, zeigte er Gefühle? Er lebte sein Menschsein so, wie es vom Ursprung her von Gott angelegt war.

Gelingt es uns, Jesus Christus heute in unseren Lebensalltag zu holen? Begreifen wir, daß er unser Leben teilen will? Das ist das Geheimnis von Weihnachten. Ge­heim­nis darf man nicht mit Rätsel verwechseln. Ein Rätsel kann man lösen. Je mehr wir aber vom Geheimnis verstehen, desto geheimnisvoller wird es. Gott ist kein Ge­genstand, der sich mit dem Verstand erfassen läßt. Wir brauchen ein Geheimnis von etwas Nicht-Begreifbarem.

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Wie sie sich gleichen: die den Gottessohn stillende Gottesmutter Maria und die den Horus stillende Göttin Isis!

Die Urnotwendigkeit für ein neugeborenes Menschenkind, das Gestilltwerden, erfährt auch der Gottessohn und taucht ganz in unsere irdische Wirklichkeit ein. Nach der mit der Flucht nach Ägypten endenden Kindheitsgeschichte lesen wir in der Bibel nur noch die Geschichte vom 12jährigen Jesus im Tempel (Lk 2,49). Erst als 30jähriger nach seiner Taufe durch Johannes im Jordan verkündet Jesus uns die Botschaft: „Die Zeit ist er­füllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium.“ (Mk 1,15)

Im lateinischen Hymnus „A solis orthus cardine – Vom Tor des Sonnenaufgangs“ von Caelius Sedulius (+ um 450) heißt es: „Er lag im Heu mit Armut groß, / die Krip­pen hart ihn nicht verdross, / es ward ein kleine Milch sein Speis, / der nie kein Vög­lein hungern ließ.“ (Reimübertragung von Martin Luther 1483-1546)

Wir suchen eine Beziehung zu Gott. In der Menschwerdung Jesu findet Gottes Be­ziehung zu uns einen Ausdruck, er macht sich im Menschen sichtbar und erfahrbar.

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„Schmiedefenster“ im Freiburger Münster

Weihnachten, das Fest der Zusammen­füh­rung des Getrennten: Der transzendente Gott wird in Jesus Mensch. Transzendenz ist ohne Raum und Zeit. Wenn der trans­zen­dente Gott Mensch wird, braucht es, um für uns vorstellbar zu sein, räumliche und zeitliche Elemente. Die Geburt des Göttli­chen soll durch eine Jungfrau gesche­hen. Wie aber soll man das darstellen? Die Künstler las­sen sich da etwas einfallen. Daß man Jesu Geburt auch augenzwinkernd heiter dar­stellen kann, zeigt die fast 700 Jahre alte Krippenszene in dem prachtvollen, 1320 von der Freiburger Schmiedezunft ge­stifteten Glasfenster der dortigen Bischofskirche.

Maria ist liegend dargestellt. Die Krippe mit dem Jesuskind befindet sich neben ihr. Der Ochse frißt daraus, erwischt dabei die Windeln des Jesuskindes und zieht es aus der Krippe heraus, so daß es über Maria zu schweben scheint. Besorgt streckt sie die Hände nach dem Kind aus, und Josef sorgt mit einem energischen Stockschlag auf die Nase des Ochsen dafür, daß sie es wieder sicher in ihren Armen halten kann.

Da im Mittelalter circa 95% der Bevölkerung Analphabeten waren, bildete man da­mals biblische Szenen unter anderem in Glasfenstern und Steinornamenten ab. Heute be­zeichnet man diese Bildergeschichten auch als „mittelalterliche Comics“. Wie reich ist doch die menschliche Phantasie, die Wirklichkeit der Transzendenz darzu­stellen, aber wie arm, sie zu erfassen.

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Fresko von 1487: Ankündigung der Geburt Jesu in der St. Martinskirche in Heiligenstadt

Empfangen durch den Heiligen Geist

Wie die Empfängnis Jesu in Maria vor sich gegangen ist, bleibt ein Geheim­nis. Irgend­wie muß ein Ei im Eileiter Mariens zum Wachsen gekommen sein.

Die Künstler hatten und haben ihre eigenen Vorstellungen, diese Wahr­heit ins Bild zu bringen. Eine ein­drucks­volle Darstellung findet sich in der St. Martinskirche in Bad Heiligen­­stadt: Gott Vater sendet den Heili­gen Geist, der im Gefolge das Jesus­kind hat, zu Mariens Ohr.

Neben den Künstlern haben auch die Mystiker ihre eigenen Bilder. Johannes schreibt: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ (Joh 1,14)

Das Ohr ist seit jeher ein Empfangsorgan und kann so Gottes Wort vernehmen. Wenn wir Gottes Wort in unser Ohr lassen, kann in uns geschehen, was Meister Eckhard (1260-1328) predigt: „Warum ist Gott Mensch geworden? Darum, daß ich als derselbe Gott geboren würde.“ (Predigt 29, Werke I, 333)

„Wenn ich nicht Maria werde,“ singt Angelus Silesius (1624-1677), „ist Christus umsonst ge­boren.“ Das Ziel aller Gottesgeburten ist also die Geburt Gottes in uns. Sie macht uns zu Söhnen und Töchtern Gottes, zu seinen Freunden und Erben.

Wir müßten wie Maria in der Erwartung des Messias leben. Dann könnte auch uns die Botschaft von der Menschwerdung Gottes erreichen. Vermutlich würden auch wir fragen: „Wie soll das geschehen?“ (Lk 1,34) und bekämen ebenfalls die Antwort: „Der Heilige Geist wird über Dich kommen.“ (Lk 1,35) Können auch wir wie Maria sagen: „Mir geschehe!“ (Lk 1,38)?

Mit diesem Fiat sind Folgen verbunden, die Maria nicht vorausgesehen hat und die auch wir nicht überschauen können. Auf obigem Bild führt das Jesuskind ein Kreuz mit sich. Laut Tradition sind die Krippe und das Kreuz Jesu aus demselben Baum gefertigt.

Auch wenn wir den Weg unseres Lebens nicht kennen, wollen wir ihn als Gottes­kinder im vollen Vertrauen auf Gott, unseren Vater, gehen.

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Alles läßt sich von zwei Seiten betrachten: als Faktum und als Geheimnis. Was vor 2000 Jahren geschah, ist als Faktum schnell beschrieben: Ein junges bereits verlobtes Mädchen, Maria mit Namen, bekommt ein Kind. Josef, ihr Verlobter, will sich zunächst lediglich von ihr trennen, obwohl er sie steinigen lassen könnte. Doch die Weisung des Engels im Traum läßt ihn bei Maria bleiben. Ärmlich beginnt das gemeinsame Leben. Wie es dort zugeht, können wir uns durchaus vorstellen. Es geschieht in den Grenzen von Raum und Zeit, in die wir eingebunden sind und die die historische For­schung von außen betrachtet.

Was aber im Inneren passiert, als der Engel Gabriel bei Maria eintritt, läßt sich nur als Geheimnis betrachten. Da leuchtet das ewige göttliche Licht als das Geistige hinein in das Diesseitige und Materielle. Es weckt unseren Geist, unser sakra­mentales Verständnis für das Leben und die durch Gott heilige und geheiligte Welt.

Mögen wir nicht nur an Weihnachten, sondern auch im kommenden Jahr neben dem Faktischen auch das Geheimnisvolle entdecken.

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Für uns Christen ist Weihnachten „das Fest der Feste“, sowohl für die Protestanten, die eigentlich Karfreitag als höchstes Fest ansehen, als auch für die Katholiken, deren höchstes Fest eigentlich Ostern sein sollte.

Erik Müller-Zähringer schrieb in „Christ in der Gegenwart“ zu Ostern 2010: „Das ge­leb­te Christentum der Gegenwart ist vor allem ein Weihnachts-Christentum, die poetisch-spielerische Festreligion einer stimmungsvollen Dies­seitsheiligung: Es denkt vom Leben her, nicht vom Tod, es denkt für ein Leben diesseits des Himmels. Das Weih­nachts-Christentum überläßt den Himmel den Spatzen und Satelliten. Es bleibt der Erde treu, auch im Tod. Im Zentrum steht der Blick auf die Krippe, nicht der auf das Kreuz. Ist der Glaube an die eigene Auferstehung, an die Auferstehung des Fleisches, überhaupt noch ein Hoffnungsgut? Ist er vernünftig?“

Möchten wir zu Weihnachten etwas erahnen vom Zusammenfall der Lebenspole.

 

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Portal der Marienkirche am Markt in Würzburg

Gott spricht: Leih mir dein Ohr! Maria empfängt durch ihr Ohr.

Der Künstler stellt die Empfängnis Marias so dar, daß auch leseun­kundige Kirchenbesucher sie verstehen: Engel öffnen den Vor­hang zu dem, was sich zwischen Himmel und Erde ereignet. Gott, der im Himmel thront, nimmt Verbindung zu Maria auf. Modern ausgedrückt könnte man sagen: Der Kanal, durch den die Kommunikation fließt, zeigt sich als Breitbandleitung. Diese ist auch nötig; denn der Datenfluß ist gewaltig. Die Verbindung funktioniert auf Gottes Sei­te wie ein Sprachrohr, auf Marias wie ein Hörrohr. Wer genau hinsieht, erkennt zwei wichtige Details: Am Ende der Leitung entfleucht an Marias Ohr aus dem Hörrohr eine Taube, das Symbol für den Heiligen Geist. Es ist Gottes Geist, der sein Wort in Marias Ohr transportiert. Das passiert sozusagen im Innern des Sprachrohrs – es ist die Innenseite des Geschehens. Und außen? Dort sieht man das Jesuskind an dem Verbindungskanal wie auf einer Rutsche hinuntergleiten. Das ist das äußere Geschehen.

Da Glaube vom Hören kommt, wie es der heilige Paulus formuliert (Röm 10,14), müssen wir uns fragen, ob der Glaubensverlust in der heutigen Zeit nicht eine Folge des Hörver­lustes der Menschen ist.

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„Die entscheidende Frage für den Menschen ist: Bist Du auf Unend­liches bezogen oder nicht? Das ist das Kriterium seines Lebens.“ (Carl Gustav Jung 1875-1961) Magisch-mythi­sches Denken bewahrt den Menschen die Erfahrung der Transzendenz, die Ge­wißheit, daß es eine Wirklichkeit hinter unserer Wirklichkeit gibt.

Vor 2000 Jahren kommt Gott aus der Transzendenz in unsere Immanenz und wird Mensch. Das Christentum entzaubert die Welt der Götter, bedient sich aber der heidnischen Kulte und Feste, um seine Inhalte zu transportieren.Mit der Aufklärung wird das magisch-mythische Denken zurückgedrängt. Die reine Vernunft wird zur Gottheit erhoben. Dieser Vorgang trifft das abend­ländische Christentum mit voller Wucht. Eine neuheidnische Religiosität bemächtigt sich der christlichen Symbole. Das hat heute zur Folge, daß in den Sportstadien regelrechte Hochämter zelebriert werden und die Konsumtempel mit Verheißungen werben, die Erlösungscharakter haben.

Obwohl Ostern theologisch und liturgisch ranghöher ist, übt das Weihnachtsfest eine solche Anziehungskraft aus, daß alle es begehen, Getaufte und Ungetaufte. Die Kirchen sind voll. Ist bei uns das Christentum eine Weihnachtsreligion geworden?

Was glauben wir wirklich? Wie bekommen wir Kontakt zu dem, was unsere Wirk­lichkeit transzendiert und die Transzendenz immanent werden läßt? Geben wir unse­rer Sehnsucht nicht nur zu Weihnachten, sondern an jedem Tag des kommenden Jahres Raum!

Werden wir transparent für die Transzendenz!

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Michael mit Fatschenkindl

Zu Weihnachten macht es vielen Menschen große Freude, Geschenke schön zu ver­packen, aber oft noch mehr, sie auszu­packen.

Hinter all diesen Geschenken steht als Urbild das gewickelte Kind in Bethlehem. Vermutlich stammt die Wickeltechnik aus dem alten Ägypten und wurde vom jüdi­schen Volk aufgenommen. So wird auch Jesus ausgesehen haben, als seine Mutter ihn in die Krippe legte.

Ist nicht das schönste Geschenk für uns unser Leben? Dieses gilt es im Laufe vieler Jahre zu entwickeln. Wenn wir uns auch den Windeln entwinden, bleiben wir aber oft dennoch durch viele Zwänge gefesselt. Wer hilft uns, uns freizugeben?

Viele machen sich auf, das in Windeln gewickelte Kind zu finden. Aber es bleibt nicht das Kind, sondern entwickelt sich und wird zu einem wortgewaltigen Predi­ger. Dieser verkündet uns, er sei gekommen, uns das Leben in Fülle zu brin­gen. Und wir? Sagen wir nicht zu oft: „Nein, danke!“, und verharren eingewickelt in zahlreichen Zwängen?

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Wandfresko in Greccio, dem franziskanischen Bethlehem im Rietital

Im Hymnus „Vom hellen Tor der Sonnen­bahn“ aus dem Morgengebet der Kirche zur Weihnachtszeit heißt es: „Er scheut sich nicht, auf Stroh zu ruh’n, die harte Krippe schreckt ihn nicht. Von einer Mutter wird gestillt, der allem Leben Nahrung gibt.“

Als Vorbild für das Motiv der „Maria lactans“, der stil­lenden oder nährenden Madonna, sollen Darstellungen der ägyp­tischen Göttin Isis gedient haben, wäh­rend sie den Horusknaben stillt.

„Meine schönste Erfindung ist meine Mutter. Es hat mir die Mutter gefehlt, und ich habe sie geschaffen“, so läßt Mi­chel Quoist (1918-1997) in seinem Buch „Herr da bin ich“ Gott spre­chen.

Jesus hat sich aber nicht immer stillen lassen, sondern hat sich von seiner Mut­ter gelöst und ist seinen Weg gegangen bis zum Kreuz, wo er seinerseits für seine Mutter sorgt.

Man nennt unsere Gesellschaft auch eine orale, die noch nicht von der allseits nähren­den Mutter lassen kann. „Hotel Mama“ ist ein Bild dafür. „Es geschieht meiner Mutter ganz recht, wenn mir die Hände abfrieren, soll sie mir doch Handschuhe stricken“, die­sen Satz stellen Therapeuten Menschen vor Augen, die nicht bereit sind, Ver­ant­wortung für sich selbst zu übernehmen.

„Mach’ es wie Jesus: werde Mensch!“, bedeutet, niemanden mehr dafür ver­ant­wortlich zu machen, wie es ihm selbst geht. Wenn wir uns in dieser Richtung entwickeln, sieht auch unsere Gesellschaft anders aus. Möge es uns im kommenden Jahr gelingen, immer mehr Eigen­verantwortung zu übernehmen.

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Weihnachtsmotiv auf dem Hochaltar von St. Jakob in Nürnberg.

Eine schöne Legende aus dem Mit­tel­alter erzählt, daß die rö­mischen Sena­toren Kaiser Augustus, den Be­herrscher der Welt, baten, ihn als Gott verehren zu dürfen. Er aber ließ eine weise Frau kommen, die Si­bylle von Tibur, und fragte sie, ob je ein Mensch geboren werde, der grö­ßer sei als er. Die Sibylle zeigt ihm in einer nächtli­chen Vision eine wun­derschö­ne Jung­frau mit einem soeben in dieser Nacht gebo­renen Kind.

Dieses Kind haftet gerade noch mit dem Gewandsaum auf dem Schoß der Gottes­mutter. Es fliegt den Be­tenden im Kirchenschiff entgegen. Der Him­mel verbindet sich mit der Erde und Gott mit uns.

 

 

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In Erwartung, Holzschnitt von Walter Habdank (1930-2001)

Wir haben das Warten verlernt, erst recht das Erwarten. Weihnachten ist schon im Ad­­vent. In der Kirche hören wir noch: „Wachet und betet!“ Wachen und Warten gehö­ren zusammen. Wenn das Erwartete da ist, sollen wir darüber wachen, es warten und pflegen. Aber Weihnachten werden aus den Nikoläusen schon Osterhasen und umgekehrt.

Wir wollen mit wachem Herzen das Fest der Christgeburt erwarten und Jesu An­kunft im Herzen pflegen und hegen, damit die Gewißheit seiner Gegenwart uns im kommenden Jahr immer begleitet.