1.4.2022

Wie oft im Jahr ist 1. April?

Das hängt von den leichtgläubigen Menschen ab. Das analoge Zeitalter ist um das digitale erweitert. Bei den versandten Nachrichten geht es vorwiegend um Klicks und Likes. Auf den Inhalt kommt es nicht mehr so sehr an. Die Leichtgläubigkeit der User kennt keine Grenzen. Alles kann irgendwie wahr sein. Subjektivität hat Vorrang vor Objektivität.

Meine Maurerlehre begann an einem 1. April. Meine Kollegen empfingen mich an der Baustelle mit der Aufgabe, im Betrieb „Steigerlöcher“ zu holen. Darauf fiel ich aber nicht herein. Damals mußte im Mauerwerk jeweils ein Loch gelassen werden für die Querbalken der noch aus Baumstämmen bestehenden Gerüste. Bei den modernen freistehenden Gerüsten sind diese Löcher überflüssig.

Eine besondere Schwierigkeit in bezug auf Objektivität und Wahrheit besteht bei Übersetzungen; denn jede Sprache hat ihre Eigenarten. Somit liegt in vielen Übersetzungen auch eine Interpretation.

Wie kritisch betrachten wir Informationen? Wir haben nur einen relativen Zugang zur Wahrheit.

Jesus hat auf die Frage von Pilatus: „Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38), nicht geantwortet. Der Basler Buchhändler und Parapsychologe Lucius Wertmüller (1958-2021) formulierte mit einer deutlichen Spitze gegen Papst Benedikt XVI.: „Der absolute Wahrheitsanspruch hat in der Geschichte genug Unheil angerichtet.“ Der Theologe Adolf Holl (1030-2020) meinte: „Auch das Gegenteil ist nicht wahr.“

Aus meinem sogenannten „Weisheitsbuch“:

Es gibt nichts, von dem nicht auch das Gegenteil richtig oder falsch ist

 

„Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.“ (Dschalal ad-Din Muhammad Rumi 1207-1273)

„Das Gegenteil einer richtigen Aussage ist eine falsche Aus­sage, aber das Gegenteil einer tiefen Wahrheit ist eine andere tiefe Wahrheit.“ (Niels Bohr 1885-1962)

„Ich möchte eigentlich allmählich, nachdem ich soviel ge­schrie­ben und geredet habe, verstummen für den Rest meines Lebens, weil ja nichts wirklich stimmt, immer ist auch das Ge­genteil richtig.“ (Luise Rinser 1911-2002)

Wir sehen das Licht einmal als Welle und dann auch als Teil­chen. Was ist es denn?

Die moderne Mystikerin Simone Weil (1909-1943) markiert den Punkt, an dem Menschenweisheit endet und das Mysterium beginnt: „Wenn man einen Gedanken gefaßt hat, solle man nach­for­schen, in welcher Hinsicht das Gegenteil wahr ist. Der Wider­spruch ist der Hebel zur Transzendenz. Erst in den Sack­gas­sen des Verstandes ereignet sich das Wunderbare. Denn der Mensch kann nicht durch eigene Bemühungen die Immanenz überschreiten.“ Diese Wahrheit gilt offensichtlich sowohl in der geisti­gen Welt als auch in der physischen. Wenn wir am Ende sind, sind wir am Anfang.

Die Fähigkeit, die Gültigkeit und Nützlichkeit zweier gegen­sätzlicher Wahrheiten gelassen auszuhalten, ist die Quelle von Toleranz. „Im Namen der Toleranz sollten wir uns das Recht vorbehalten, die Intoleranz nicht zu tolerieren.“ (Karl Popper 1902-1994)

Zum Leben gehört die Einsicht, daß die Wirklichkeit immer komplexer ist, als der Mensch sie in seinen Bemühungen um Er­kenntnis zum Ausdruck bringen kann. Die Wahrheit und die Wirk­­lichkeit sind jeweils größer als jene Gesichtspunkte, de­rer wir in unserer Erkenntnis habhaft werden können.

Man muß unbedingt mit Leuten diskutieren, die einem wider­sprechen. Wer das nicht tut, hat keine Ahnung, wovon er re­det. Wer nur seine Seite eines Falles kennt, weiß wenig davon. Wenn er selbst nicht fähig ist, die Argumente der Gegenseite zu entkräften; wenn er sie nicht einmal kennt, hat er keinen Grund, eine Seite zu bevorzugen.

Es geht um das Wissen, daß wir vor Gott allezeit Unrecht haben, oder anders formuliert: „Hermeneutik bedeutet einzu­se­hen, daß auch der andere Recht haben könnte.“ (Søren Kierkegaard 1813-1855) Philipp Neri (1515-1595) hat bei ein und derselben Sache anders gehandelt als es Ignatius von Loyola (1491-1556) getan hätte.

Der Satz: „Ich wette mit dir um zehn Euro, daß es morgen regnet“, ist weder wahr noch falsch; er enthält keine Informa­tion.

Es gab wohl noch nie zwei Menschen, die zum Bei­spiel eine Rose angeschaut und dasselbe gesehen haben.

Zwei Menschen telefonierten miteinander. Der eine sagte: „Es ist ein schöner Tag.“ Der andere entgeg­nete: „Wieso, es ist doch Nacht.“ Ein Dritter hörte den bei­den zu und überleg­te, wer denn nun recht habe: Beide; denn sie telefonierten jeweils vom anderen Ende der Erde.

„Es ist ganz einerlei, ob man das Wahre oder das Falsche sagt, beidem wird widersprochen.“ (Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832)

Die Wüste zum Beispiel war für die Wüstenväter ein öder, trostloser Ort der Gottesferne, der Dämonen und des Todes. Jesus wird in der Wüste vom Satan versucht. Den christlichen Wüstenvätern und Eremiten war es ein und dasselbe, wenn sie Gott in der Einsamkeit suchten. Sie mochten ihn finden, konn­ten aber auch eine Gottesferne erfahren. In der Wildnis sind üp­piges Leben und plötzlicher Tod gleichermaßen sichtbar. In der deut­­­­­schen Mystik wird die Wüste zum Bild des reinen gött­­lichen Urgrundes.