
19.1.2021
Wieviel Verlaß ist auf unsere Sinne?
Wenn Menschen beschreiben sollen, was sie gesehen haben, weicht das Erzählte nicht selten voneinander ab. Richter kennen dies zur Genüge von Zeugenaussagen, bei denen ein und dasselbe Ereignis verschieden beschrieben wird.
Bericht von Hans-Karl Seeger
Unfallautos 2Unfallautos
Am 27. Juli 1992 war ich mit dem Auto auf dem Weg von Kleve nach Münster und wäre beinahe auf der Rheinbrücke Emmerich, in einen schweren Unfall geraten. Ich war das erste Auto, das rechtzeitig bremsen konnte. Zwei einander entgegenkommende Autos waren auf der Brücke kollidiert, weil eines vermutlich durch den Blick des Fahrers auf den Rhein von der Fahrbahn abgekommen war. Ein Fahrer starb an der Unfallstelle, ein anderes Unfallopfer erlag später seinen Verletzungen.
Ich wurde als Zeuge zur Verhandlung nach Kleve vor Gericht geladen und sollte aussagen, welches Auto den Zusammenstoß verursacht habe. Von meiner Aussage hätte abgehangen, welcher Fahrer der Schuldige war. Ich konnte es beim besten Willen nicht sagen.
Jeder Mensch nimmt nicht unbedingt dasselbe wahr wie der andere. Wer sich zum Beispiel für ein neues Automodell interessiert, sieht dieses plötzlich überall. Vorher ist es ihm nie besonders aufgefallen.
Manchmal meinen wir, uns sogar an etwas zu erinnern, was wir nie gesehen haben.
Neben optischen Eindrücken gibt es auch haptische Wahrnehmungen. Tasten hilft, sich im Dunklen zurechtzufinden. Unser Gefühl hat im Gegensatz zum Verstand mehr mit Tasten als mit Sehen zu tun.
Man spricht von Synästhesie, wenn Menschen Farben hören und Töne sehen können.
Die taube und blinde Helen Keller (1880-1968) wunderte sich, wie wenig die Menschen bei einem Waldspaziergang wahrnehmen. Sie selbst konnte mit den Fingern die Farbe einer Rose spüren.
Siehe auch Impuls vom 1. Oktober 2020 – Mit den Händen sehen.