
23.1.2020
Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt!
Mit diesen Versen beginnt ein Gedicht in Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832) Faust. Der Tragödie zweiter Teil:
Zum Sehen geboren,
Zum Schauen bestellt,
Dem Turme geschworen,
Gefällt mir die Welt.
Ich blick' in die Ferne,
Ich seh' in der Näh'
Den Mond und die Sterne,
Den Wald und das Reh.
So seh' ich in allen
Die ewige Zier,
Und wie mir's gefallen,
Gefall' ich auch mir.
Ihr glücklichen Augen,
Was je ihr gesehn,
Es sei, wie es wolle,
Es war doch so schön!
Aber können wir denn schon sehen? Friedrich Hebbel (1813-1863) schreibt: „Der Mensch ist ein Blinder, der vom Sehen träumt.“ Bleiben wir nicht oft an der Oberfläche hängen? Unser subjektiver Blick sieht, was wir sehen wollen, aber nicht in die wahre Wirklichkeit, daher kann es uns plötzlich „wie Schuppen von den Augen fallen“, und wir erkennen den „blinden Fleck“ in uns. Wenn wir bewußt die Augen schließen, gehen sie uns auf.
Johann Wolfgang von Goethe formuliert:
„Wär' nicht das Auge sonnenhaft, Die Sonne könnt' es nie erblicken;
Läg' nicht in uns des Gottes eigne Kraft, Wie könnt' uns Göttliches entzücken?“
Der ägyptische Pharao Echnaton (+ ca. 1335 v. Chr. G.) dichtete einen Sonnenhymnus. Für ihn war die Sonne eine Gottheit.
Für Franz von Assisi (1181/1182-1226) war die Sonne das stärkste Zeichen der göttlichen Liebe.
Die Sonne läßt unser Auge sehen und Sichtbares wahrnehmen.
Als Symbol des Lebens verehrten alle Religionen das Licht. Schon die ersten Sakralbauten richteten die Menschen nach der Sonne aus. Das natürliche Licht in Kirchen ging schon immer über den Einsatz der reinen Technik hinaus.
Licht ist das wunderbarste irdische und kosmische Phänomen, das wir kennen. Es ist sowohl Welle als auch Teilchen. Dieser Doppelcharakter läßt es als Mysterium erscheinen.
Viele Kirchen haben bunte Glasfenster, durch die das Sonnenlicht in allen Farben erstrahlt. Eine Großmutter saß mit ihrem Enkel vor einem direkt von der Sonne angestrahlten Fenster mit der Darstellung ihrer Namenspatronin Elisabeth. Nachdem ihr Enkel das Fensterbild eine Weile betrachtet hatte, sagte er: „Ich glaube, ich habe etwas Tolles herausgefunden: Das Sonnenlicht, das so hell ist, daß wir nicht hineinschauen können, strahlt durch das Glasbild der heiligen Elisabeth. Genauso strahlt Gott durch das Leben der Heiligen!“
Der Theologe Jürgen Kuhlmann (*1936) schreibt: „Die Heiligen sind Organe des Heiligen Geistes.“
Schon der Kirchenvater Basilius (um 330-379) verkündete: „Wie die Sehkraft im gesunden Auge, so ist die Energie des Geistes in der gereinigten Seele.“
Bemühen auch wir uns, Organe des Heiligen Geistes zu sein!