28. Sonntag im Jahreskreis B (14.10.2018)

Transparenz für Transzendenz

Schriftstellen:
Erste Lesung: Weish 7,7-11
Zweite Lesung: Hebr 4,12-13
Evangelium: Mk 10, 17-27

Können wir das nicht verstehen? Da hat einer ein großes Vermögen und soll alles abgeben. Könnten wir das?

Aber wenn wir genauer zuschauen, klebt er nicht an seinem Besitz. Er ist ein frommer Mann, er hält alle Gebote, und das sind und waren im Judentum nicht wenige. Um sie auch wirklich alle zu halten, mußte er immer wieder in den heiligen Büchern lesen, und dazu brauchte er Zeit. Die hatte er, weil er nicht zu arbeiten brauchte; denn er war ja reich. Arbeiten – Geld verdienen – das taten andere für ihn. Auf das Halten der Gebote stützte er sich. So würde er das ewige Leben gewinnen.

Wir kennen das von jenem Pharisäer, der nach vorne in den Tempel geht und Gott dafür dankt, daß er besser ist als zum Beispiel der Zöllner; denn er tut ja alles, was das Gesetz vorschreibt.

Wenn der Jüngling nun alles abgäbe, hätte er keine Zeit mehr für das Studium. Woher nähme er die Sicherheit für das ewige Leben? Das Halten der Gebote ist nicht unwichtig, aber es ist nicht die Hauptsache. Erst aus einer guten Beziehung zu Gott folgt das Halten der Gebote. Diese gute Beziehung wollte Jesus dem reichen Jüngling anbieten, indem er ihn zur Nachfolge einlud. Aber das war diesem zu ungewiß. Und wie sieht es mit uns aus? Worauf bauen wir unsere Heilssicherheit? Ist das überhaupt eine Frage? Mit dem Tod ist doch sowieso alles aus, also wollen wir den Himmel auf Erden. Friedrich Schleiermacher (1768-1834) formulierte: „Es ist euch gelungen, das irdische Leben so reich und vielseitig zu machen, daß ihr der Ewigkeit nicht mehr bedürft.“ Was würde er heute sagen?

Wir basteln kräftig an dem Projekt, die Erde zum Himmel zu machen. Ob es uns gelingt? Mir persönlich genügt eine solche Welt nicht. Es ist tröstlich, daß es eine Gegenwelt gibt, die mich auffängt, wenn ich an der Welt, in der ich lebe, zweifle.

Für uns Christen ist diese Gegenwelt Gott. Eine Transzendenz, die in unserer Welt erfahrbar werden kann. Menschen, die sie erlebt haben, nennen wir Mystiker. Der Psychologe Abraham Maslow bezeichnet solche Erfahrungen als Gipfelerlebnisse (Peak Experiences). Der Benediktiner David Steindl-Rast sagte kürzlich: „Allen Mönchen in allen Religionen geht es um das eine: um persönliche Erfahrung der göttlichen Wirklichkeit.“

Jesus nachzufolgen bedeutet für mich, offen zu werden für die Wirklichkeit des Reiches Gottes, das er verkündet hat. Dabei zu helfen, diese Wirklichkeit zu erkennen, darin sehe ich unter anderem auch meine Aufgabe als Seelsorger. Deshalb halte ich lieber Beerdigungen als Trauungen.

So sehr die Liebe ein Erahnen der göttlichen Wirklichkeit in unserem Leben ist, so sehr spielen bei einer Trauung ganz irdische Fragen eine Rolle. Angesichts des Todes aber kommen die Fragen nach dem Sinn unseres Lebens in den Blick, und das aus meiner langjährigen Erfahrung noch mehr bei denjenigen, die nicht wissen, wo die Propstei ist, um den Todesfall zu melden, als bei den praktizierenden Christen; denn Frömmigkeit kann auch enorm immunisieren für die Transzendenz.

„Laß das alles“, würde Jesus sagen, „wenn es dich hindert, ein Mystiker zu sein, einer, der Gott erfahren hat.“ Religiöse Praxis sollte dazu dienen, den Blick für Gott offen und die Sehnsucht nach ihm wach zu halten.

Nach einem beliebten Nietzschezitat ist Gott seit 100 Jahren tot, aber das Bedürfnis nach Transzendenz ist nicht mitgestorben.