„Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke?“ (Mk 10,38)
Schriftstellen:
Erste Lesung: Jes 53,10-11
Zweite Lesung: Hebr 4,14-16
Evangelium: Mk 10, 35-45
Wie nahe sie uns sind, die Jünger Jakobus und Johannes. Nun sind sie eine Weile mit ihm gegangen, haben seine Worte gehört, haben ihn heilen sehen und hin und wieder selbst Hand angelegt da, wo ihre Hilfe nötig und erwünscht war – und nun ist da ein Augenblick der Ruhe, der Besinnung, des Nachdenkens über all das, was gewesen ist.
Und schon erwacht sie wieder, die Bitte, mit der uns Jakobus und Johannes ganz nahe kommen: Was, Herr, haben wir davon? Die Jünger drücken unsere recht plumpe und banale Bitte allerdings etwas vornehmer aus: „Laß in deinem Reich einen von uns rechts und den anderen links neben dir sitzen.“ Diese Formulierung klingt nicht gerade demütig, sondern recht fordernd, bedeutet sie doch: „Gib uns den Lohn, der uns unserer Meinung nach zusteht.“
Wir dürfen die Jünger nicht verurteilen, sonst verurteilen wir uns selbst. Der Wunsch ist vielleicht nicht berechtigt, aber er ist verständlich; und unser eigener Wunsch nach Lohn ist es ebenso. Im Lohn drücken wir den Wert aus, den die Arbeit eines Menschen für uns hat. In Belohnungen wünschen wir uns, für wert gehalten zu werden auch da, wo es durch direkten Lohn nicht meßbar ist. Vermutlich ahnen Jakobus und Johannes, daß ihre Arbeit und ihr Einsatz auf Erden kaum belohnt werden, und hoffen mit ihrer Frage auf gebührende Anerkennung im Himmel.
Nach einer langen Zeit der Ungewißheit nutzen sie den ruhigen Moment, um von Jesus schon jetzt davon zu hören, wie die irdische Niedrigkeit in himmlischen Wert verwandelt wird.
Sie sind sich ihrer Sache sicher, von einem Zögern bei ihrer Frage wird nicht berichtet. Das Murren der anderen bestätigt nur die feste Gewißheit der beiden, die zu fragen wagten. Es war nicht wenig, was sie bereits eingesetzt hatten: Familie, Beruf, Zuhause. Alles hatten sie hinter sich gelassen für eine ungewisse Wanderschaft in eine ungewisse Zukunft, die nun auch noch düster wurde, nachdem Jesus sein Leiden angekündigt hatte. Und bevor sie ihren Herrn vielleicht nicht mehr bitten konnten, mußte ihr Wunsch nun unbedingt heraus, der Wunsch nach Lohn und Auszeichnung durch den Meister.
Jesus verurteilt sie nicht; denn er erkennt ihre Bitte an. Das ist bemerkenswert. Natürlich möchten sie, die seinen Weg mitgegangen sind, ihren Lohn. Natürlich dürfen sie erwarten, für ihren entbehrungsreichen Weg der Nachfolge geehrt zu werden. Das scheint selbstverständlich und Jesus nicht der Rede und erst recht nicht des Widerspruchs wert. Stattdessen fragt er sie, ob sie den Platz, den sie erbäten, wirklich verdient hätten und den Weg gehen könnten, den er selber gehe. Er prüft das Selbstbewußtsein der Jünger, und erst als dieses völlig ungebrochen groß bleibt; denn sie antworten: „Ja, das können wir“, bestreitet er seine Zuständigkeit und bringt das Gespräch zum Abschluß, ohne die Bitte der Jünger zu verurteilen.
Jesus urteilt nicht. Er weist seine Freunde weder zurück noch in Schranken. Ich glaube, er weiß um ihren dringenden Wunsch, wenigstens im Himmel belohnt zu werden. Er nimmt den Wunsch sehr ernst und weist lediglich daraufhin, daß die Platzverteilung im Himmel nicht in seiner Macht liegt.
Als das allen, auch den anderen Jüngern, klar ist, antwortet er wirklich. Die Zukunft ist nicht dunkel, keineswegs. Auch seine eigene erscheint ihm nicht dunkel, noch nicht einmal düster. Dunkel ist nur die Zukunft derer, die weitermachen wie bisher, die allein ihren Ruhm und ihre Macht und Herrschaft suchen ohne Rücksicht auf andere.
Aber bei den Jüngern und bei den Männern, Frauen und Kindern, die seine Worte wirklich hören und seinen Geist wirklich leben wollen, soll und kann es anders sein. Jetzt ist Jesus wieder bei sich selbst, und die beste und tragfähigste Antwort auf unseren Wunsch nach Lohn, Verdienst und Auszeichnung lautet: „Wir verdienen, wo wir dienen.“ Und je freundlicher unsere Dienste sind, desto freundlicher ist der Lohn, den wir erwarten dürfen. Jesus hat das gewußt, und er hat es erlebt. Er hat den Dank derer gespürt, denen er Wert gab. Er hat die Freude derer gespürt, die er berührte und herzte. Er hat die Einsicht derer bemerkt, die von ihrer Macht und von ihrem Geld lassen konnten.
Jesus hat auch anderes bemerkt, natürlich. Er hat Verhärtung gespürt und Verstockung und sogar Bösartigkeiten. Manchmal hat er noch nicht einmal das verurteilt, sondern war einfach nur traurig. Denn er hatte ja erlebt, wie Menschen sich verwandeln können. Doch alle, die Jesus wirklich brauchen, haben ihn aufgenommen und angenommen. Das war sein Verdienst: Wir verdienen, wo wir dienen.
Er kann dies seinen Jüngern auch nur deshalb weitersagen, weil er es weiß und erlebt hat. Er lädt seine Jünger auf diesen Weg des Dienstes auch nur ein, weil es ein guter Weg ist und sie nichts zu fürchten brauchen, vor allem keinen Verlust. Was wären die Worte Jesu wert, wenn sie zum Verlieren einlüden? Sie laden ein zum Gewinnen und Verdienen.
Auch Jesus war nicht selbstlos. Er war voller Selbstbewußtsein und freute sich über die Anerkennung, den Dank und auch die Fürsorge durch andere. Darum wird er nie zur Selbstlosigkeit einladen und nie den Wunsch nach Lohn und Anerkennung verurteilen. Im Gegenteil! Er bestätigt ihn und verspricht dessen Erfüllung. Wer groß sein will, soll Diener sein. Ebenso verhält es sich auch umgekehrt. Wer Diener ist, wird groß. geachtet und geehrt. Es wäre völlig unmenschlich, dies nicht zu hoffen.
Es wäre vollkommen unverständlich, wenn Jesus uns das nicht verspräche. Jede Güte wird sich auszahlen, wenn auch manchmal in ganz anderer Münze.