Sprechenden Leuten ist zu helfen
Schriftstellen:
Erste Lesung: Jer 31,7-9
Zweite Lesung: Hebr 5,1-6
Evangelium: Mk 10, 46-52
Eine Volksweisheit lautet: „Sprechenden Leuten ist zu helfen!“ Jesus fragt den blinden Bettler: „Was soll ich Dir tun?“, und erhält die Antwort: „Ich möchte wieder sehen können!“ Jesus erwidert: „Dein Glaube hat dir geholfen“, und der Geheilte folgte ihm auf dem Weg.
Uns ist die Sprache gegeben, und zwar zum Sprechen. „Heimliche Wünsche werden unheimlich selten erfüllt!“ Natürlich ahnte Jesus, daß der Blinde sehen möchte, aber der Bittende muß es auch aussprechen.
Mit „Sehen“ ist hier vermutlich mehr gemeint, als die uns umgebende Wirklichkeit zu erkennen, es trifft eher den Sinn von „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Die großen Seher der Weltgechichte sind oft blind, haben aber ein inneres Auge.
Das Buch „Das wiedergefundene Licht“ von Jacques Lusseyran behandelt die Lebensgeschichte des Autors, der durch einen Unfall im frühen Kindesalter erblindete und daraufhin eine neue „Welt“ erlebt, nämlich das „wiedergefundene Licht“.
Die Beschreibungen seiner Welt sind sehr plastisch und dürften blinden Personen Hoffnung geben. Doch nicht nur dies – auch sein weiteres Leben beschreibt der Autor spannend wie einen Krimi: Er arbeitet in Frankreich in der Résistance, wird auf Grund von Verrat verhaftet, ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt und 1945 – sozusagen in letzter Minute – von den Amerikanern befreit.
Eine Stelle in dem Buch hat mich besonders stark beeindruckt. Als blinder Mensch hat Jacques Lusseyran gelernt, auf seine anderen „Sinnesorganen“ zu achten und sich auf sein „Gefühl“, seinen „Instinkt“ zu verlassen.
Bei der Befragung von neuen Mitgliedern für die Résistance entscheidet sein Urteil über deren Aufnahme oder Ablehnung. So hofft man, die Einschleusung eines Spiones zu verhindern. Eines Tages wird ihm ein Mann vorgeführt, vor dem ihn seine intakten Sinnesorgane deutlich „warnen“; sein Instinkt rät zur Ablehnung.
Anschaulich beschreibt er den Zwiespalt seiner Gefühle, dem er sich durch diese Entscheidung ausgesetzt sieht. Er wird sich über diesen Menschen nicht klar; Stimme und Händedruck „harmonieren“ nicht; daher äußert er Bedenken gegen die Aufnahme der ihm vorgestellten Person in die Gruppe. Doch die anderen Mitglieder raten eindringlich zur Aufnahme des neuen, durch sein Organisationstalent beeindruckenden Mannes; denn er könne der Résistance durch seine Fähigkeiten unschätzbare Dienste leisten.
Jacques Lusseyran gibt nach, der Mann wird aufgenommen und ... entpuppt sich als Verräter, der die Widerstandsgruppe auffliegen läßt.
Nie zuvor wurde mir so deutlich, wie blinde Menschen ihr Schicksal meistern. Jacques Lusseyran hat dies in seinem Werk eindringlich und eindrucksvoll aufgezeigt. Er macht deutlich, wie sich Menschen trotz des Verlustes ihrer Sehfähigkeit eine neue Welt erschließt, wie sie lernen, das Leben mit neuem Mut anzugehen und es zu meistern.
Die durch einen „Zugewinn“ der intakten „Sinne“ erlangte Menschenkenntnis des Autors zeigt, wie wichtig es ist, auf unsere „innere“ Stimme zu hören.
Wunderbar ist die anschauliche Beschreibung der neuen Situation und die bildhafte Darstellung dessen, was sich im Innern des Autors abspielt: Er findet, obwohl äußerlich blind, das Licht wieder.
Mit seinen detaillierten Schilderungen gibt er blinden Menschen Hoffnung und spendet ihnen Trost. Das ist für mich das Faszinierende an diesem Buch.