„Ich bin ein König!“ (Joh 18,37)
Schriftstellen:
Erste Lesung: Dan 7,2a.13b-14
Zweite Lesung: Offb 1,5b-8
Evangelium: Joh 18,33b-37
„Jesus Christus ist der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten, der Herrscher über die Könige der Erde, ... er hat uns zu Königen gemacht“, so hören wir in der 2. Lesung (Offb 1,5-8). Aber kommen wir uns nicht eher wie Bettler vor? Wir sind Könige im Gewand des Bettlers. Offenbar geschieht das wahre Königwerden erst im Sterben, wenn unser Pilgerkleid abfällt und wir eingehen in die Ewigkeit, beziehungsweise uns der Ewigkeit bewußt werden, in der wir schon immer leben; denn unsere Lebenszeit ist nur eine „Pause von der Ewigkeit“.
Am Totensonntag sollten wir bedenken: „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“; denn zeitlich gesehen, können wir jederzeit sterben. Räumlich gesehen, ist es nicht mehr so leicht, das Sterben der Mitmenschen zu erleben; denn es geschieht nicht mehr mitten unter uns. Gemeint ist aber vor allem, daß zum Leben der Tod gehört; denn das irdische Leben hat den Keim des Todes in sich, der Tod aber den Keim des LEBENS.
Aber die Chance, eines natürlichen Todes zu sterben, wird immer geringer; denn wir sind uns bei all den Möglichkeiten, das irdische Leben zu verlängern, unseres Todes nicht mehr sicher.
Eine der wichtigsten Fragen, die die Religion zu beantworten hat, ist die Frage nach dem Sinn von Sterben und Tod. Wir wissen nicht, was der Tod ist. Keiner hat Erfahrung mit dem Tod und doch sprechen wir vom Tod als dem Sichersten in unserem Leben; denn er ist todsicher. Allenfalls lesen wir von Nahtoderfahrungen, die Menschen, die ins irdische Leben zurückfanden, im Prozeß des Sterbens gemacht haben.
Ansonsten ist der Tod nur als sozialer Tod erfahrbar, als Kommunikationsunterbrechung, als Tod eines sozialen Körpers innerhalb einer Gemeinschaft, zu der wir als Lebende alle gehören. Wir müssen mit der Tatsache des Todes leben.
Unser Bestreben ist es, dem Leben auf Erden mehr Jahre hinzuzufügen, und wir sind stolz auf den wissenschaftlichen Fortschritt der Medizin. Wäre es aber nicht viel wichtiger, den Jahren mehr Leben zu geben? Welche Wissenschaft lehrt uns das? Unser Bischof Felix Genn ist mit dem Motto angetreten: „Wir verkünden euch das Leben.“ Und was bekommen wir zu hören?
Wir sprechen von den „besten Jahren“. Welche sind das, wenn das Leben das Beste ist, was wir haben? Und gemeint ist das ganze Leben, von der Geburt bis zum Sterben. Geburtstagsglückwünsche enden oft mit den Worten: „...vor allem Gesundheit!“ Wie aber ist es um unsere Gesundheit bestellt? Was tun wir dafür? Wieviel dagegen? Statt „Hauptsache gesund!“, sage ich seit geraumer Zeit für mich: „Hauptsache gelassen!“
Angesichts der Bedrohung, die uns durch neue Arten von Kriegsführung umfängt, wird mir diese Einstellung immer wichtiger. Ich weiß nicht, ob ich gelassen war, als ich 1945 im Alter von neun Jahren nach einem Bombenangriff auf Kleve aus dem Kellerfenster eines zerbombten Hauses gekrochen bin.
Der große Mystiker Meister Eckehard (1260-1328) hat den Begriff „Gelassenheit“ geprägt und mit Inhalt gefüllt. „Gelassen“ kommt von „lassen“ im Sinn von „loslassen“. Die Alten sollten die Jungen loslassen; denn diese müssen ihre eigenen Erfahrungen machen. Als Kinder lernten wir das Laufen durch Hinfallen und Aufstehen. Eine weitere Bedeutung des Wortes „lassen“ findet sich in dem Ausdruck „sich auf etwas Neues einlassen“, im Sinn von „sich einer Sache überlassen“. Ein hochaktueller Aspekt spiegelt sich in dem Verb „belassen“. Es ist wichtiger denn je, der Umwelt nicht noch mehr anzutun, sondern sie in ihrem Wesen zu „belassen“.
Der Mensch ist nicht nur Hüter des Seins, sondern auch Hüter der Toten. In keinem anderen Monat des Jahres sind die Gräber so gepflegt wie an den zahlreichen Gedenktagen im sogenannten Totenmonat November: Allerheiligen, Allerseelen, Volkstrauertag, Buß-und Bettag und Totensonntag. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das auf eine besondere Weise seine Toten begräbt. Nach unserem Glauben sind sie lebendiger als wir. Sie sind im EWIGEN LEBEN. Besteht darin die Anziehungskraft der Gräber?
Wie aber konnte dann ein „leeres Grab“ in Jerusalem zum wichtigsten Pilgerziel der Christen werden? Vielleicht ist gerade das das Paradox des leeren Grabes. Ein konkreter Ort, der ausgerechnet durch das, was hier nicht mehr faßbar ist, so bedeutend ist. Ein Phänomen in Bezug auf die ungreifbare Wirklichkeit, von der Ostern spricht. Es geht um das ganz konkrete Schicksal des Menschen Jesus, der dort bestattet wurde, und doch wissen wir: „Er ist nicht hier.“ (Mt 28,6) In gewisser Weise sind heute alle Gräber Symbole und stehen für etwas anderes, jenseits von ihnen Liegendes, das erst im Gedenken der Menschen real wird.
Der November hat seine Totengedenktage, aber wir sollten uns nicht nur an diesen Tagen an unsere Verstorbenen erinnern. Christus wird der Erstgeborene der Toten genannt, der Herrscher über die Könige der Erde. Er will das LEBEN der Menschen, das LEBEN der Toten. Er will unser LEBEN und das in Fülle.
Die jungen Menschen in der Konzerthalle Bataclan in Paris wollten das volle Leben, aber Terroristen haben es ihnen genommen. Die Hinterbliebenen tuen kund: „Wir lassen uns das volle Leben nicht nehmen.“ So sollte auch für uns gelten: „Nehmen wir uns das LEBEN! Das Leben in Fülle!“